Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
Karin.
»Die Opferquelle galt als heilig. Man glaubte, sowohl das Wasser als auch die Erde ringsherum hätten eine heilsame Wirkung. Die Leute pilgerten vor allem zu Pfingsten hierher, und viele hielten es für eine Sünde, wenn man den Ort noch nie besucht hatte. Wenigstens einmal im Leben sollte ein guter Katholik hierherkommen.«
»Katholik?«
»Schweden war doch damals katholisch.«
»Von welcher Zeit reden wir denn eigentlich?«
»Vom Mittelalter, vor Gustav Vasa und der Reformation im Jahre 1527. Ungefähr 1270 wurden das Marstrander Franziskanerkloster und die Kirche gegründet.«
»Es gab hier ein Kloster?«, wunderte sich Karin. »Hier? Draußen auf der Insel? Wo denn?« Karin konnte sich nicht erinnern, irgendwo Ruinen gesehen zu haben.
»Bei der Kirche«, sagte Johan. »Das Kloster stand dort, wo sich heute die Kirche befindet, Kloster und Kirche gingen teilweise ineinander über. In der Drottninggatan kann man heute noch sehen, wo der Klosterbrunnen war. Ich kann dir die Stelle zeigen, wenn wir dort vorbeikommen.«
»Aber der Brunnen war nicht heilig?«
»Nein, nicht so wie diese Quelle. Komm, ich zeig sie dir.« Johan ging an den großen Felsblöcken vorbei, überquerte eine Ebene und blieb vor einem Loch im Boden stehen, das sich direkt am Fuße des Berges befand.
»Hier. Das ist die heilige Quelle.«
Verblüfft blickte Karin ihn und die Pfütze an, auf die er zeigte.
»Das hier?« Skeptisch musterte sie die kleine Wasserlache.
»Du bist enttäuscht?«
»Ich hatte wohl etwas mehr erwartet.«
»Sieh dich um«, sagte Johan. »Schau dir die Steine an, die hier ringsum so stehen, dass man im Kreis darauf sitzen kann. Irgendjemand muss sie genau so platziert haben.«
Karin ließ sich probehalber auf einem Stein nieder, blickte über die bewaldete Senke unter ihnen und die Grotte mit den riesigen Steinblöcken davor. Der Ort hatte sicher einst eine große Bedeutung gehabt.
»Ich finde, dass hier eine ganz besondere Stimmung herrscht, als wäre die Quelle von einer Art Kraftfeld umgeben.«
»Was tat man denn, wenn man hierherkam? Als guter Katholik?«
»Man trank das mineralstoffreiche Wasser und spendete ein bisschen Geld. Manchmal einfach um zu helfen, oder vielleicht um für eine Tat zu büßen, die das Gewissen belastete, aber meistens tat man es einfach für das eigene Glück und Wohlergehen. Die Mönche hatten hier einen Opferstock, einen sogenannten Seelenschrein. Das Geld ging ans Kloster, das damit die Armen unterstützte. Hier neben der Quelle hing eine Art Kasten, wahrscheinlich nicht aus Holz. In den Sechzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts reinigte man die Quelle und fand Unmengen von Münzen, die Gläubige geopfert hatten. Einige von ihnen sind richtig alt. Man kann sich das alles im Rathauskeller ansehen.«
»Seelenschrein«, murmelte Karin nachdenklich. »Ein seltsames Wort.«
Hinter den vielen großen Steinblöcken verbarg sich eine schmale Steintreppe, die teilweise in den Felsen gehauen war. Die abgewetzten Stufen führten steil nach oben. Anschließend traf der Pfad auf einen mit Betonplatten ausgelegten Weg.
»Rechts«, sagte Johan.
Sie waren erst wenige Meter gegangen, als Karin auf der Anhöhe rechts von ihnen das weiße Wellblechgestell des Lotsenausgucks erblickte. Das bedeutete, dass der Opferhain ganz in der Nähe war.
Von der Stelle unterhalb des Lotsenausgucks konnten sie nun sowohl den Opferhain als auch, etwa dreihundert Meter entfernt, die Festung sehen. Bis jetzt hatten Kiefern vorgeherrscht, aber nun wurden sie durch den Laubwald des Hains ersetzt.
»Ist sie hier gefunden worden?«, fragte Johan, als sie zum Opferstein kamen.
Karin nickte.
»Leider von einer ganzen Schulklasse. Siebenundzwanzig arme Neuntklässler.«
»Auch der Opferhain ist angepflanzt worden, und zwar in den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, ich weiß nur nicht mehr, von wem. Es hat hier aber schon viel früher einen Wald gegeben. Das sind übrigens Buchen.«
»Und der Opferstein? Was weißt du über den?«
»Eigentlich nicht viel. Ich glaube nicht, dass sein Ursprung bekannt ist. Im Heimatverein wird immer noch diskutiert, ob er überhaupt verwendet worden ist, und wenn ja, wofür.«
»Bedauerlicherweise ist er mittlerweile benutzt worden«, sagte Karin. »Was sagen denn die verschiedenen Flügel jetzt über die Verwendung des Steins?«
»Flügel?«, lachte Johan. »Einige sagen, die Kerbe sei erst im neunzehnten Jahrhundert in den Stein gemeißelt worden, um
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