Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
angenehme Menschen«, erwiderte Sara. »Sowohl das Museum Bohuslän als auch einige von uns Aktiven im Heimatverein haben drüben eine Bestandsaufnahme gemacht. Man kann nur die Daumen drücken, dass jemand einzieht, der sich um das Haus kümmern und das Alte bewahren will.«
Lycke packte die Gelegenheit beim Schopf.
»Johan hat mir erzählt, dass du im Heimatverein schon einiges gemacht hast.«
»Ach«, schnaufte Sara. Aber es stimmte. Sie hatte sich wieder im Heimatverein engagiert und unter anderem eine Postkartensammlung sortiert, die jemand gespendet hatte. Am Anfang war sie nur hin und wieder abends hingegangen, weil sie um diese Zeit so gut wie allein dort war, aber inzwischen kam sie auch manchmal tagsüber und redete mit den Mitgliedern. Sie waren älter und hatten keine Eile. Mühsam war nur die Tatsache, dass sie immer wieder erklären musste, warum sie zu Hause war. Eine Generation, die körperlich hart gearbeitet und das Land aufgebaut hatte, wunderte sich manchmal, dass man krank davon werden konnte, wenn man in einem Büro vor dem Computersaß. Mittlerweile drückte sie sich oft vor dem Umgang mit Menschen, und da war das Engagement im Heimatverein eine gute Übung.
Lycke half ihr auf die Sprünge. »Weißt du noch, wie wir zusammen auf Marstrandsön herumgelaufen sind? Es war wohl, bevor die Kinder kamen und unser ganzes Leben auf den Kopf gestellt haben. Du hast doch immer von all den Orten auf der Insel erzählt, vor allem von den Häusern und den Ereignissen, die sich in ihnen abgespielt haben. Du und Johan habt euch immer gegenseitig mit alten Geschichten übertroffen. Er sagt immer, am allermeisten über die Geschichte Marstrands weiß Georg, aber du kommst an zweiter Stelle und er selbst an dritter.«
»Wirklich?« Sara lächelte zaghaft. »Es ist nur so viel anderes passiert … Ich habe total nachgelassen.« Das Lächeln erlosch.
»Wie … geht es dir eigentlich, Sara?« Lycke strich ihr über die Wange. Obwohl sie direkte Nachbarinnen waren, hatte Lycke seit einem Monat nicht mit Sara gesprochen und sie auch kaum zu Gesicht bekommen. Lycke hatte zwar über Ausgebranntsein und Erschöpfungsdepression gelesen, aber wenn man es in seiner unmittelbaren Umgebung erlebte, war es etwas ganz anderes. Die zerstörerische Kraft hatte sie erstaunt. Die alte Sara schien verschwunden und durch eine blasse Kopie ersetzt worden zu sein, deren Blick von den vielen Medikamenten vernebelt war.
Nun saß sie jedenfalls hier und hatte eine Einladung zum Kaffee angenommen. Walter freute sich, als er sah, dass Linus und Linnéa mitgekommen waren.
»Es ist so«, sagte Sara. »Ich fühle mich schuldig, weil es mir nicht besser geht, weil ich keine fröhlichere Mama bin und weil ich es schon so lange nicht schaffe, wieder zu arbeiten. Neulich hatte ich einen Termin mit der Krankenkasse. Die wollten wissen, warum ich noch nicht wiedervoll einsatzfähig bin, und gaben mir einen Monat Zeit, mich wieder auf hundert Prozent zu steigern. Es sind bereits zwei Wochen vergangen, in denen ich fünfundzwanzig Prozent gearbeitet habe. Nächste Woche sind fünfzig Prozent angesagt.«
»Du musst also so schnell von einer kompletten Krankschreibung auf Vollzeit hochgehen? Ist das denn wirklich gut für dich?«
»Offenbar ja. Ansonsten kürzen die mir das Krankengeld.«
»Meine Güte, dürfen die das überhaupt?«
»Wenn du wüsstest! Hätt ich’s nicht am eigenen Leib erlebt, würde ich auch nicht glauben, wie es da zugeht.«
»Und was sagt dein Arzt dazu?«
»Dass ich versuchen soll, positiv zu denken und daran zu glauben, dass es geht. Die Krankenkasse entscheidet. Ich habe solche Angst, wieder in das schwarze Loch zu fallen.« Sara begann zu weinen. »Ich habe immer noch diese Panikattacken. Die Angst kann jeden Augenblick kommen, das allein ist eine Belastung.«
»Was ist denn so schwierig daran? Am Arbeitsplatz zu sein, die Kollegen zu treffen oder die Mailbox zu öffnen?«
»So funktioniert das nicht. Ich kann es nicht richtig erklären oder genau benennen, was es ist. Auch das ist frustrierend. Die ganze Situation, glaube ich. Der Druck von der Krankenkasse macht es jedenfalls nicht leichter.«
Lycke nickte. »Und was passiert jetzt?«
»Jetzt werde ich langsam anfangen und viele Taschentücher mit zur Arbeit nehmen. Und Make-up, damit ich nachbessern kann, falls nötig. Am Arbeitsplatz zu heulen ist wahrscheinlich am schlimmsten.«
»Eins nach dem andern, Sara. Niemand erwartet Höchstleistungen von dir.
Weitere Kostenlose Bücher