Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
nickte stumm. Sie fragte sich allmählich, warum Margareta angerufen hatte, und das an einem Sonntag. Nur, um ihr das zu erzählen? Margareta war nicht der Typ, der unnötige Telefonate führte. Bis jetzt hatte sie nichts erfahren, was ein anderes Licht auf das Ganze geworfen hätte, und daher hätte der Anruf auch bis morgen warten können.
»Meiner Ansicht nach stecken wir oder besser gesagt, steckt ihr in einem gewissen Dilemma. Deshalb habe ich angerufen«, sagte Margareta.
»Ach«, sagte Karin. »Und in welchem?« Sie spitzte die Ohren.
»Der Kopf, den ihr gefunden habt, hat nie auf diesem Körper hier gesessen.«
6
Åkerström, Trollhättan, Herbst und Winter 1958
Mit kleinen Unterbrechungen, die er auf Birgers und Ainas Hof in Åkerström zwischen Trollhättan und Lilla Edet verbringen durfte, musste der Junge fünf Wochen im Maria-Alberts-Krankenhaus liegen. Da mehrere Knochen in seinem Körper gebrochen und falsch zusammengewachsen waren, musste er mehrmals operiert werden. Am schlimmsten waren jedoch die Wunden der Seele. Kinderpsychologen und Ärzte taten ihr Bestes, aber der Junge fasste nur zu Birger wirklich Vertrauen. Aina und Birger hatten die Ehre, einen Namen für den Jungen aussuchen zu dürfen.
»Asko«, sagte Aina. »Ich denke an meinen Vater, der unter schweren Bedingungen aufgewachsen ist und trotzdem ein gutes Leben hatte.«
»Asko.« Birger sprach den Namen probeweise aus. Er erinnerte sich daran, dass Ainas finnischer Vater als siebtes Kind in einer zwölfköpfigen Kinderschar aufgewachsen war. Bei seinem Tod hatte er ein florierendes Sägewerk in Finnland hinterlassen, das nun von Ainas Bruder betrieben wurde, und für jedes Kind ein großzügiges Erbe. Als sie dem Jungen von Ainas Vater erzählten und ihn fragten, was er von dem Namen halte, nickte er zustimmend. Mit einer einfachen Zeremonie in der Kirche von Hjärtum wurde er auf den Namen Asko getauft.
»Könnte Asko vorübergehend bei euch wohnen? Bis wir eine Pflegefamilie für ihn gefunden haben?«
Eine Woche bevor der Junge aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte Inger vom Jugendamt ihnen diese
Frage gestellt. Asko war noch immer dünn und blass, aber das ließ sich mit einem Aufenthalt auf dem Hof beheben.
In diesem Herbst und Winter wohnte der Junge bei ihnen. Er molk die Kühe, half Aina beim Backen und kam mit roten Wangen zum Mittagessen. Fette Milch von den eigenen Kühen, Ainas Hausmannskost und die frische Landluft taten ihm gut.
Birger musste oft daran denken, dass sie den Jungen nur »geliehen« hatten, weil er woanders untergebracht werden sollte. Dann zerbrach er sich den Kopf darüber, was er tun konnte, um an diesem Beschluss etwas zu ändern. Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem er und Asko mit dem Traktor unterwegs waren und eine Begegnung der besonderen Art hatten. Drei Mädchen gingen mit ihrer Mutter die Straße entlang. Zu spät erkannte Birger, dass es sich um Askos Mutter und seine Schwestern handelte. Hier würde der Junge nie richtig stark und gesund werden können. So gern Birger und Aina es wollten, es war unmöglich.
Karin nahm den Aufzug in den dritten Stock des neuen Polizeigebäudes, in dem die Fahndungsabteilung untergebracht war. Sie trottete in den Pausenraum, der zwar leer war, aber irgendjemand hatte trotzdem Kaffee gekocht. Nachdem sie sich einen Becher vollgeschenkt hatte, ging sie durch den stillen Flur und setzte sich dann an ihren Schreibtisch.
Sie dachte an Samstag und das schöne Abendessen, das aufgrund von Görans plumpem Auftritt so abrupt geendet hatte. Sie schloss die Augen, um den Anblick der beiden triefenden Männer mit den Handtüchern in ihrem Cockpit aus ihrer Erinnerung zu vertreiben. Nach dem Telefonat, das sie am Tag darauf mit Margareta geführt hatte,war es ihr schwergefallen, sich auf etwas anderes als die Neuigkeit zu konzentrieren. Anstatt zum Kaffeetrinken zu Lycke zu gehen, war sie hinunter zum Boot spaziert, um nachzudenken. Aus einem Mord waren plötzlich zwei geworden. Niemand, zumindest sie nicht, wäre auf den Gedanken gekommen, dass Kopf und Körper von zwei verschiedenen Personen stammten.
Karin schlug ihr Notizbuch auf. Vier Seiten mit losen Ideen, wobei auf einer nur Fragen standen, die sie gestern festgehalten hatte. Sie öffnete ihre E-Mails und suchte nach dem Obduktionsprotokoll, das Margareta ihr geschickt hatte. Karin überflog den Bericht über die Frau am Opferstein, von der sie bereits wusste, dass sie an einer Rauchgasvergiftung
Weitere Kostenlose Bücher