Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
Zero aus und wartete auf seine Reaktion, die prompt kam.
»Sollen wir vielleicht noch einmal von vorne anfangen?« Nun stand der Typ vor ihr.
»Hallo, Anders!« Lächelnd stellte Karin ihr Getränk ab. Dann stand sie auf und ergriff seine ausgestreckte Hand.
»Kommissarin Adler?«
»Karin.«
»Wartest du, wenn ich mir etwas zu essen bestelle?«, fragte Anders.
»Klar. Dann nehme ich noch eine Apfeltasche zum Kaffee.«
Anders war ungefähr im selben Alter wie sie. Er hatte dunkle Haare und braune Augen. Karin fand, dass er kompakt wirkte. Diese Beschreibung hätte ihm sicher nicht gefallen, aber er sah eben nicht aus wie jemand, der schnell laufen konnte, sondern wie einer, der mit der Büchse in der Hand auf einem Hochsitz im Wald auf der Lauer lag. Vielleicht vermittelte aber auch nur seine Kleidung diesen Eindruck. Schwere Stiefel, eine grüne Hose mit verstärkten Knien und eine dunkelgrüne Jacke aus grobem Stoff.
Karin erzählte von der Frau, die sie beim Opferstein gefunden hatten, und dass sie anfangs ganz selbstverständlich davon ausgegangen waren, dass der Kopf in Frau Wilsons Garten zu ihr gehörte. Anders hörte ihr während des Essens zu. Er verspeiste seinen Hamburger auf routinierte Weise und verbrauchte keine einzige Serviette. Außerdem hatte er Pommes frites statt Salat gewählt.
»Wir sollten zum Fundort fahren.« Bis jetzt hatte Anders zu seinem Fall nichts gesagt, sondern Karins Bericht aufmerksam gelauscht. Sie nickte.
»Lass dein Auto hier stehen. Wenn wir fertig sind, bringe ich dich zurück«, fügte er hinzu. »Übrigens, du hast nicht zufällig Stiefel dabei? Ich habe noch welche in Größe 44 …«
Karin öffnete ihren Kofferraum und holte ein Paar blaue Seglergummistiefel aus einer wasserdichten Reisetasche. Sie waren am Schaft eingerissen, und Karin wollte die Mittagspause nutzen, um sich deswegen in dem Geschäft am Järntorget zu beschweren, wo sie sie gekauft hatte. Es war reines Glück, dass sie die Gummistiefel ausgerechnet heute eingepackt hatte.
Anders fuhr einen grünen Volvo V70 mit Hundekäfig im Kofferraum. Im Wageninneren roch es nach Hund. Naserümpfend ließ sich Karin auf dem Beifahrersitz nieder.
Wie ein blaues Band lief der Götafluss links neben der Straße entlang. Karin übersah jedoch nicht die Strudel, die sich im Wasser bildeten. Selbst wenn die Oberfläche glatt war, war die Ruhe trügerisch. Sie hatte solche Strudel bereits im Pentland Firth, der Meerenge zwischen dem schottischen Festland und den Orkneys, erlebt und wusste, was sie anrichten konnten.
»Es gibt noch einen kürzeren Weg zum Fundort, aber wenn wir aus dieser Richtung kommen, erhältst du einen besseren Überblick. Dort drüben liegt das Zentrum. Wir haben es umfahren.« Anders zeigte auf die Klappbrücke und bog an der Ampel rechts ab. »Dort unten sind die Schleusen, aber wir fahren über die Oskarsbron und dann dort entlang.« Karins Blick folgte seinem Finger. Der Berg öffnete sich und entblößte eine Schlucht, die immer tiefer zu werden schien, je länger sie fuhren. Am Ende war in dem ansonsten ausgetrockneten und von großen Felsblöcken umgebenen Flussbett ein Rinnsal zu erkennen. Mitten auf der Brücke blieb Anders stehen.
»Dort sind die berühmten Wasserfälle. Im Moment gibt es da nicht viel zu sehen, weil kein Wasser fließt, aber manchmal lassen sie das Wasser laufen, und ich muss zugeben, dass ich es noch immer schön finde. Im Sommer gab es hier zu der Zeit eine Installation mit Licht und Ton. Die Kraft, die sich da entfaltet, hat etwas Beeindruckendes.«
Anders zeigte auf einen Felsen, der ein Stück oberhalb der Wasserfälle herausragte.
»Einmal stand dort ein Mann, der den Wasserfall aus nächster Nähe fotografieren wollte. Das ist gut dreißigJahre her. Er konnte ein paar hübsche Bilder machen, bevor er weggerissen wurde. Als das Wasser kam, bedeckte es die gesamte Klippe. Er hatte keine Chance. Ist nie wieder aufgetaucht.«
Die Straße schlängelte sich einen steilen Berg hinauf. Karin war dankbar, dass sie auf dem Beifahrersitz saß und sich somit auf der Bergseite befand. Den Bootsmast hinaufzuklettern war eine Sache, aber an einem steilen Abhang zu stehen war etwas ganz anderes.
Anders bog in einen Waldweg. Er stellte das Auto am Straßenrand ab, nahm eine Karte aus dem Handschuhfach und zeigte Karin, wo sie sich befanden.
»Okay. Zeit, in die Stiefel zu schlüpfen.« Er öffnete den Kofferraum.
Der Wind rauschte in den Baumkronen. Karin musste
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