Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
Windschutzscheibe wirkte einschläfernd. Karin blickte zuerst auf den nassen Asphalt der Europastraße 45 und dann hoch in den grauen Himmel, der unerschöpfliche Wassermassen bereitzuhalten schien. Sie fröstelte allein bei dem Anblick. Außerdem machte das Wetter müde. Es war elf Uhr an einem Montagvormittag, und sie war seit fünf Uhr wach. Die Tatsache, dass ihr Fall einen Treffer im Register hervorgebracht hatte, erfüllte sie mit Hoffnung und mit Sorge. Vielleicht erfuhren sie Dinge, die ihnen weiterhalfen, aber vielleicht hatte auch ein und derselbe Täter in möglicherweise größeren Abständen mehrere Verbrechen ähnlicher Art verübt.
Carsten Heed hatte schließlich den Kommissar erreicht, der mit dem Fall betraut gewesen war. Sie drehte den Notizblock auf dem Beifahrersitz so, dass sie den Namen lesen konnte: Anders Bielke. Mit der Schreibweise nahm er es offenbar genau, denn er hatte Carsten extra darauf hingewiesen, dass man den Namen nicht so schrieb, wie man ihn aussprach: Bjälke. Jedenfalls erwartete er sie im McDonald’s-Restaurant im Överby-Einkaufszentrum in Trollhättan.
Ihr Handy klingelte.
»Hallo, hier ist Johan. Lindblom«, fügte er hinzu. »Ich wollte dich fragen, ob ich dich zum Mittagessen einladen darf.«
»Das wäre schön, aber ich bin auf dem Weg nach Trollhättan.«
»Aha, dann muss ich wohl umdisponieren und dich stattdessen zum Abendessen einladen.«
»Gerne. Wann?«
»Heute, wenn das für dich okay ist?«
»Ich werde voraussichtlich den ganzen Tag in Trollhättan sein und weiß nicht, wann ich hier loskomme. Außerdem trage ich meine Arbeitskleidung«, sagte Karin.
»Eine Uniform, oder was?«, fragte Johan.
»Das würde dir gefallen, was? Nein, nicht ganz. Eher Jeans.«
»Mist, dann können wir nicht da hingehen, wo ich eigentlich hinwollte«, sagte Johan.
»Sollen wir es verschieben, damit ich mir vorher noch ein Abendkleid kaufen kann?«, fragte Karin.
»Nein, essen wir lieber bei mir zu Hause. Das wollte ich von Anfang an vorschlagen. Vergiss das Abendkleid.«
Nachdem Karin aufgelegt hatte, ertappte sie sich selbst dabei, dass sie einfach dasaß und vor sich hin grinste. Sie beugte sich vor und schaltete das Radio ein. Ted Gärdestad sang was von Sonne, Wind und Wasser.
Das Schild von McDonald’s war schon von weitem zu sehen. Da es auf die Mittagszeit zuging, bestellte sich Karin einen Big Mac und quälte sich eine Weile mit der Frage herum, ob sie statt der Pommes frites einen Salat nehmen sollte, löste das Problem aber, indem sie zu lange wartete. In ihrem Kopf hörte sie Folke einen Vortrag über Omega-3-Fettsäuren halten und ausführlich darauf hinweisen, dass man einen Bogen um ungesunde Fette machen sollte. Gesättigt, ungesättigt und mehrfach ungesättigt. Sie vergaß immer, welches davon gefährlich war.
Im Restaurant befanden sich nur wenige Gäste. Karin suchte sich einen Platz am Fenster, von dem aus man den Parkplatz und das Överby-Einkaufszentrum überblicken konnte. Sie nahm einen Bissen von dem Hamburger. Manchmal schmeckte es bei McDonald’s richtig gut, und sie war lange nicht hier gewesen. Im Sommer hatte sie täglichMakrelen geangelt, die sie anschließend gebraten und genüsslich mit Kartoffeln und saurer Sahne verspeist hatte. Sie hoffte, dass sie kleine Sünden mit dieser gesunden Ernährungsweise auf Dauer ausgleichen konnte.
Hinter ihr saß ein Typ, der unangenehm laut mit dem Handy telefonierte. Karin wollte ihn gerade bitten, seine Lautstärke ein wenig zu dämpfen, als sie ihn sagen hörte: »Der Bulle aus Göteborg ist noch nicht aufgetaucht. Typisch Großstädter, die können einfach nicht pünktlich sein.« Nach einer Pause fuhr der Mann fort: »Warte, ich sehe mal nach.« Sie hörte ihn einen Reißverschluss öffnen, der vermutlich zu einer Jackentasche gehörte. Anschließend knisterte Papier. »Kommissar Adler.«
Karin spitzte die Ohren.
»Nein, den rufe ich bestimmt nicht an! Der soll sich bei mir melden … Total rücksichtslos, da stimme ich dir zu.«
Als Karin ihren Burger aufgegessen hatte, hielt sie sich ihr Handy ans Ohr. Ohne eine Nummer zu wählen, sprach sie mit lauter Stimme hinein: »Ich sitze hier und warte auf das Mädel von der Polizei Trollhättan. Klar weiß ich, wie spät es ist, aber sie ist immer noch nicht da. Vielleicht haben die auf dem Land ja keine Uhren. Sicher, ich habe hier irgendwo einen Zettel. Kommissarin Bjälke müsste sie heißen, Bjälkä mit zwei ä.«
Karin trank ihre Sprite
Weitere Kostenlose Bücher