Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
die Angehörigen mitunter den Henker, damit er die Angeklagte diskret erwürgte, während er das Feuer entzündete. Dann war es nicht ganz so grausam.
Das fröhliche Plätschern und Lachen im Badezimmer riss sie aus ihren dunklen Gedanken. Sie legte das Buch beiseite, zog sich die Strümpfe aus und fragte Tomas und die Kinder, ob für sie auch noch Platz in der Wanne wäre.
Eriksberg, Marstrand, Sommer 1958
Asko nannte Birgers Vater »Großvater«. Die beiden hatten sich sofort gefunden und ähnelten einander auf seltsame Weise. Für diejenigen, die Askos Geschichte nicht kannten, und das war nur eine Handvoll Menschen, hätten der Junge und der Mann, die über den Steg zum Angeln marschierten, ohne weiteres Großvater und Enkelkind sein können. Der alte Mann war ins Gesindehaus gezogen, und Birger, Aina und Asko übernahmen das Haupthaus. Erfreut beobachtete Birgers Vater, wie dem Hof neues Leben eingehaucht wurde und wie sich die Ställe wieder mit Tieren und dem Lachen eines Kindes füllten. In diesem Herbst kam Asko in die Schule. Birger sah ihm zu, wenn er abends am Küchentisch saß
und in seinen Schulbüchern las. Sie redeten über alles, was der Junge lernte. Geschichte, Geographie, Naturkunde und Religion. Behutsam blätterte Asko die Seiten seiner Bücher um, die immer noch neu aussahen, wenn er sie durchgelesen hatte. Wie Kostbarkeiten reihte er sie im Regal in seinem Zimmer auf.
Birger und Aina fuhren mit der Fähre nach Marstrandsön, um mit seiner Lehrerin zu sprechen. Der Junge war gut in der Schule, sogar besser als die Kinder in den höheren Klassen, hatte jedoch Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen. Birger nickte, und die Klassenlehrerin sagte, angesichts seiner Lebensgeschichte sei das auch kein Wunder. Aina betonte, dass sie den Jungen zu nichts drängen, sondern ihm Zeit lassen wollte, sich in seinem eigenen Tempo zu entwickeln.
Sammlungsdirektor Harald Bodin vom Göteborger Stadtmuseum war bekümmert. Nun hatte er sich schon durch die siebte Kiste gewühlt, ohne das Gesuchte zu finden. Er kratzte sich am Kopf. Im Frühjahr hatten sie den Gegenstand an ein anderes Museum verliehen, rief er sich ins Gedächtnis, um seine Sorge zu dämpfen. Die Rückgabe war während seines Urlaubs durch eine Vertretung erfolgt, aber der Kollege konnte sich nicht entsinnen, den Gegenstand ausgepackt zu haben. An und für sich war es eine große Lieferung gewesen, die aus zwölf Kisten bestand, aber an diesen Gegenstand hätte sich die Urlaubsvertretung erinnern müssen.
Harald überlegte, ob er Kontakt mit dem Museum Bohuslän aufnehmen sollte, das den Gegenstand ausgeliehen hatte, aber die Sache war ihm peinlich. Vielleicht hatte die Urlaubsvertretung es in dem riesigen Magazin auch nur an die falsche Stelle gelegt. Die Frage war nur, wohin.Harald sah sich zwischen Armbrüsten, Pallaschen, Säbeln und Degen um. Gerade diese Teile der Sammlung wurden mit äußerster Sorgfalt behandelt. Hin und wieder erhielt das Museum Anfragen von Wissenschaftlern und besonders interessierten Personen, die sich einige der Gegenstände ansehen wollten. Dann wurden sie vom Magazin in einen der Ausstellungsräume getragen. Waffen hatten die Eigenschaft, auch Menschen anzuziehen, die kein ausschließlich harmloses Interesse für sie hegten. Inzwischen hatten sie eine ganze Liste von Leuten, denen kein Zutritt mehr gewährt wurde.
Seufzend klappte er die Kiste zu. Harald wollte alles gründlich durchsuchen, damit er ganz sicher sein konnte, dass sich der Gegenstand wirklich nicht im Magazin befand. Anschließend würde er mit Börje sprechen, dem Sicherheitsbeauftragten. Ein Henkersschwert aus dem siebzehnten Jahrhundert durfte einfach nicht verlorengehen.
»Anscheinend ist es in Mode, die Vergangenheit zum Leben zu erwecken. Im Sommer hatten wir hier in der Burganlage eine Theatergruppe, die den Menschen einen Eindruck davon vermitteln wollte, wie man früher gelebt hat.«
»Was?«, fragte Karin. »Hattet ihr auch Besuch von Rollenspielern?«
»Wieso auch?« Anders trat auf die Bremse und sah sie an.
»Weil die auch bei uns waren. Ein mittelalterliches Rollenspiel auf einer alten Siedlungsstelle in Marstrand.«
»Was muss ich mir unter einem Rollenspiel vorstellen?« Anders bog nach links und kurz darauf nach rechts ab.
Karin erklärte ihm, wie die Sache funktionierte. Sie gab wieder, was Grimner gesagt hatte: dass die Teilnehmer nicht unbedingt die sein mussten, für die sie sich ausgaben,und dass in
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