Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
gefunden, zumindest in Anbetracht der äußeren Umstände. Vor allem, wenn man sich vor Augen führt, was Folke gerade erzählt hat.« Sie deutete auf die Worte »Burganlage«, »Hinrichtungsplatz« und »mittelalterbegeisterte Rollenspieler«. »Im Mittelalter glaubte man, die Seele befände sich in der Nase. Wenn man die Nase abschnitt, hatte man auch die Seele der Person in seinem Besitz.«
Carsten strich sich über das Kinn. Karin wusste nicht, ob er noch Zahnschmerzen hatte oder ob er einfach über ihre Worte nachdachte.
»Urd, Skuld und Verdandi«, murmelte Robban.
»Wie bitte?«, fragte Karin.
»Ich bin ja gerade dabei, die Charaktere der Rollenspieler durchzugehen, ich sehe mir an, welche Namen sie sich gegeben haben und was diese Namen bedeuten. Die Frau am Opferstein nannte sich ja Skuld. Ich habe im Internet eine Menge Erklärungen dafür gefunden. Der Asenglaube kennt drei Schicksalsgöttinnen. Sie werden Urd, Skuld undVerdandi genannt. Manchmal bezeichnet man sie auch als Disen, Schicksalsdisen oder Nornen. Die Schicksalsgöttinnen stammen eigentlich aus der nordischen Mythologie«, fuhr Robban sinnend fort.
»Die Thorshämmer in den Felsen«, warf Karin ein.
»Meine Frau, Sofia, ist gerade von einem Kurs in England zurückgekehrt, den sie mit Lehrerkollegen besucht hat. Es ging hauptsächlich darum, ein bisschen aufgeschlossener zu werden, und das müssen wir hier wohl auch sein.« Er sah Folke forschend von der Seite an.
»Die Schicksalsgöttinnen spinnen die Schicksalsfäden, die jedes Menschenleben von der Geburt bis zum Tod lenken, und über jedes Geschlecht wacht und herrscht eine Schicksalsgöttin.«
»Jä?«, sagte Carsten aufmunternd.
»Ich habe mir überlegt, dass vielleicht jemand dahinterstecken könnte, der glaubt, das Schicksal in seinen Händen zu halten und zu lenken«, sagte Robban. »Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob uns das weiterhilft. Soweit ich das verstanden habe, können die Rollenspieler ihren Charakteren ihren eigenen Stempel aufdrücken. Möglicherweise verwendet jemand nur den Namen des Charakters, zum Beispiel Skuld, aber nicht die restlichen Eigenschaften.«
Carsten räusperte sich. »Wir müssen die Rollenspieler noch einmal gründlicher befragen, bevor wir eine andere Richtung einschlagen oder unsere Suche ausweiten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Frau ja auch dieser Gruppe angehörte, sollten wir dort einen Schwerpunkt setzen. Wenn wir die Rollen erst besser verstehen, können wir hoffentlich auch treffsicherer nachhaken.«
»Ich würde jetzt gern alle Zeugenaussagen durchgehen.« Dieser Satz stammte von Folke. »Ich bin ebenfalls der Ansicht, dass wir erneut mit den Rollenspielern ausdem Sankt-Eriks-Park sprechen sollten, damit wir herausfinden, als was sie sich verkleidet haben und worauf dieses Spiel hinausläuft.«
»Was ist mit dem Veranstalter, Robban?«, fragte Karin.
»Auf den wollte ich gerade zu sprechen kommen. Er nennt sich Esus. Keiner der Teilnehmer weiß, wer er oder meinetwegen sie ist, da alle Vereinbarungen per E-Mail abgewickelt wurden. Was den Veranstalter betrifft, habe ich eigentlich nur herausbekommen, was der Name bedeutet.« Robban legte einen Zettel auf den Tisch.
»›Esus‹«, las er vor. »›The furious one or the respected one.‹« Robban blickte auf. »Man könnte sich fragen, womit er sich den Respekt verdient hat. Hier steht auch ›Lord‹ und ›Master‹ und dass Esus Menschen opferte, die man an einen Baum fesselte und häutete.«
»Wie bitte?«, fragte Carsten verständnislos.
»Man hat ihnen die Haut abgezogen«, erläuterte Robban.
Carsten verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die deutlich zeigte, dass er es nun verstanden hatte. Es wurde still am Tisch.
Marstrand, Sommer 1962
Seit Asko aufgetaucht war, redeten Birger und Aina oft über Vererbung und Milieu. Da Asko mit Kristian nach Nygård gefahren war, hatten sie nun zwei Abende für sich. Asko war zum ersten Mal weg, aber Birger hatte sich telefonisch vergewissert, dass es ihm gutging. Nachdem er aufgelegt hatte, saß er eine Weile nachdenklich da.
»Mach dir keine Sorgen.« Aina schenkte den Abendkaffee ein.
»Er scheint sich gut zu amüsieren«, erwiderte Birger. »Und der Vater macht einen ordentlichen Eindruck, auch wenn ich nicht verstehe, warum der Junge nicht bei ihm wohnt, sondern hier.« Als Aina eine Augenbraue hochzog, fügte Birger hinzu: »Wenn er wirklich ein vernünftiger Mann ist, meine ich. Warum wohnt Kristian dann bei seiner
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