Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
überflog die Liste. Robban meinte, ein winziges Zucken in ihrem Gesicht zu erkennen, als sie die Namen las, aber da sie die Augen ein wenig zusammenkniff, war er sich nicht sicher. Als sie aufstand,wirkte sie genauso gelassen und unbeschwert wie vorher.
»Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich kann dir nicht helfen.« Sie öffnete die Glastür. Robban musterte sie erneut.
»Bist du sicher? Ist niemand dabei?«
Marianne zuckte die Achseln. »Es gibt so viele, die uns verhöhnen wollen und behaupten, wir wären unseriös. Dass unser Zentrum in einen Kriminalfall verwickelt wird, ist das Letzte, was ich will. Es wäre verheerend. Wir haben lange und hart daran gearbeitet, ernst genommen zu werden.«
»Natürlich, dafür habe ich vollstes Verständnis. Wir arbeiten jedoch ebenfalls hart, damit diese Wahnsinnstaten ein Ende haben. Deine Deutung ist wichtig für uns, weil du von einem anderen Blickwinkel ausgehst. Hast du eine Idee, warum jemand so etwas tut? Siehst du etwas, was ich nicht sehe?«
»Die Orte scheinen von großer Bedeutung zu sein. Möglicherweise möchte jemand diese Personen in die Unterwelt befördern, in die Hölle. Zur Strafe.«
»Aber wofür werden sie bestraft?« Robban wollte sie animieren, weiterzusprechen.
»Du musst mich entschuldigen, meine Zeit wird langsam knapp. Wie gesagt, ich werde verreisen und muss noch ein paar Dinge vorbereiten, wenn du also keine weiteren …« Sie deutete auf den Ausgang.
»Klar.« Er reichte ihr seine Visitenkarte. »Falls dir noch etwas einfällt, ruf mich doch bitte an.«
»Grüß Sofia von mir. Das ist doch deine Frau?«
»Danke, das werde ich tun. Und vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast.« Sie hatte es die ganze Zeit gewusst. Vielleicht spielte es keine große Rolle, aber Robban erfüllte es trotzdem mit Unbehagen.
Universität Göteborg, Weihnachten 1978
Da die Mauern der Universität Marianne zu eng geworden waren, suchte sie sich nach ihrem abgeschlossenen Psychologiestudium keine Stelle, sondern ging ins Ausland. In der Ausbildung hatte sie mehr Fragen als Antworten gefunden, und es dürstete sie danach, weiterzukommen.
Eines Abends hatte sie an einem besonderen Treffen teilgenommen. Die Leiterin erzählte von Parallelwelten, kosmischen Kräften, Psychometrie – der Lehre vom Gedächtnis der Dinge – und davon, wie man sich auf andere als auf traditionelle Art und Weise leiten lassen konnte. Nach dem Treffen war Marianne geblieben, um mit der Frau zu reden. Sie spürte, wie sich in ihrem Innern neue Wege öffneten, neue Möglichkeiten zu einem tieferen Verständnis. Zwei Jahre begleitete sie Joy um die ganze Welt. Sie traf gelehrte Männer in China, lebte in Indien in einer Kommune und lernte schamanische Trommeltechniken von nordamerikanischen Indianern, bevor sie gemeinsam in Joys Heimatstadt Glastonbury zurückkehrten und ein geistiges Zentrum eröffneten.
Glastonbury war ein seltsamer Ort – mehrere Energiefelder der Erde überschnitten sich hier. Wenn man eine Landkarte zur Hand nahm und Linien zwischen Glastonbury, Stonehenge und Avebury zog, stellte man fest, dass sie ein Dreieck bildeten, ein Kraftzentrum, das seit Urzeiten bekannt war. Glastonbury war ein Wallfahrtsort, und man konnte sich dort sogar zur Priesterin oder Göttin ausbilden lassen. Der charakteristische Hügel mit dem Turm Glastonbury Tor überblickte die Stadt wie die Christusstatue von Rio de Janeiro. Zahllose Legenden rankten sich um den
Hügel mit dem merkwürdigen Gipfel. Am meisten faszinierte Marianne jedoch die Art und Weise, wie die Edgarkapelle, die alte Klosterkirche, ausgegraben worden war. Der Architekt Frederick Bligh Bond, der 1907 die Ruinen der Klosterkirche ausgraben sollte, wusste nicht, wo er mit den Ausgrabungen beginnen sollte. Während einer spiritistischen Sitzung begann sein Freund Kapitän Bartlett plötzlich, den Umriss der Kathedrale zu zeichnen, und endete mit einem lateinischen Text, in dem es um eine Kapelle ging, die Anfang des sechzehnten Jahrhunderts zu Ehren von König Edgar errichtet, aber später dem Verfall überlassen worden war. Mit Hilfe der Skizze begann Frederik Bligh Bond, an dem genannten Ort zu graben und fand schließlich die Edgarkapelle.
Marianne dachte an den Mörser und den Stößel, die sie viele Jahre zuvor im Garten ihrer Großeltern gefunden hatte, und ihr kamen die Bilder wieder in den Sinn, die sie gesehen hatte, als sie den Mörser in den Händen hielt. An der Stelle hatte sich einst der Kräutergarten
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