Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
mir tut es leid. Ich finde nur, dass es so unendlich lange dauert, und außerdem habe ich nicht das Gefühl, dass Tomas mir genug Verständnis entgegenbringt.«
»Es ist wohl auch nicht so leicht zu verstehen. Manche Dinge muss man selbst erlebt haben, um sie wirklich zu begreifen. Hat Tomas dich schon einmal zu einem Termin mit dem Betriebsarzt oder der Krankenkasse begleitet?«
Sara dachte an das letzte Gespräch und malte sich aus, welchen Verlauf es genommen hätte, wenn Tomas dabei gewesen wäre. Ihn hätte der Schlag getroffen, dachte sie und trank ihr Glas aus. Sie wollte nach Hause, jetzt sofort. Dieses Gefühl überkam sie oft und immer völlig unerwartet. Zu Hause fühlte sie sich sicher und geborgen. Man brauchte nicht die Tür zu öffnen, wenn jemand anklopfte, sondern konnte so tun, als wäre man nicht da. Sara atmeteeinige Male tief durch, um ihr Unbehagen zu überwinden. Sie ging zur Spüle und nahm sich ein Glas Wasser, damit Lycke sich keine Gedanken machte. Das half. Nur ein paar Minuten, dann würde sie nach Hause gehen. Sara räusperte sich, griff nach ihren Unterlagen und zeigte Lycke, wie sie sich das Ganze vorgestellt hatte. Die Texte und die alten Fotos wirkten in gewisser Weise beruhigend auf sie. Sie sprach langsamer und fing Lyckes Blick auf.
»Findet eure Konferenz in der Villa Maritime stand?« Sara suchte die ersten Fotos heraus, auf denen die elektrisch betriebenen Fähren zu sehen waren, mit denen die Reisenden von 1913 bis 1985 den Sund überquert hatten.
Lycke nickte. Die Villa Maritime, ein modernes Hotel in Hellblau, lag nur einen Katzensprung von der Fähre entfernt am Kai.
»Ich habe allen per E-Mail geschrieben, dass sie festes Schuhwerk und winddichte Jacken mitbringen sollen. Irgendjemand wird wahrscheinlich trotzdem so schlau sein, im Anzug, Kostüm oder auf hohen Absätzen zu kommen, aber das ist dann nicht unsere Schuld.«
»Perfekt. Ich habe mir überlegt, dass ihr vor dem Eingang vom Maritime anfangt. Die Leute sollen sich vor dem großen Stockanker auf der Rasenfläche links vom Hotel versammeln. Dort stehst du genau zwischen dem Maritime und dem Turisthotellet. Dann gehst du in Richtung Strandverket. Mit der Geschichte des Turisthotellet und dem Konflikt zwischen den neuen Besitzern und denjenigen, die das Gebäude bewahren und unter Denkmalschutz stellen wollten, könntest du übrigens anfangen. Vergiss nicht, das Engagement der Kommune zu erwähnen.«
»Welches Engagement?«
»Na, eben. Das habe ich gemeint.«
»Wie merkst du dir die Jahreszahlen?«, fragte Lycke.
»Weiß ich nicht. Ich hefte sie an verschiedene Dinge vor und nach bestimmten Ereignissen, so wie ein Bilderrätsel in meinem eigenen Kopf.« Wenn sie sich geschichtliche Daten einprägte, schien ihr Gedächtnis aus irgendeinem Grund besser zu funktionieren als bei der Arbeit. Vielleicht lag es daran, dass sie nicht den gleichen Leistungsdruck verspürte. Ihr Gedächtnis hatte ziemlich gelitten und ließ sie oft im Stich. Als habe ihr Gehirn diese Funktion als zweitrangig eingestuft. Wenn es ums nackte Überleben ging, war Erinnern zweitrangig.
»Das ist doch egal«, sagte Lycke. »Ich kann mir gerade noch merken, wann Oscar II. hier war, den Rest muss ich eben ablesen. Wohin gehe ich dann?«
»Nach Süden. Wenn du möchtest, kannst du ja erzählen, dass man hier ›auf Nord‹ und ›auf Süd‹ sagt. Und erwähnte, dass wir eine Krankenpflegestation, einen Zahnarzt und ein Pflegeheim für die Älteren haben. Das stellen sich die Leute hier draußen bestimmt idyllisch vor.«
»Allerdings, die Krankenstation und die Apotheke kann ich auf jeden Fall blumig beschreiben. Vielleicht lasse ich mich sogar zu einem politischen Exkurs hinreißen und verrate, dass sie nur montags und donnerstags geöffnet sind. Das ist doch wirklich ein Skandal. Glauben die eigentlich, dass man nur an diesen Tagen krank wird?«
»Ich stimme dir vollkommen zu, aber erwähn es lieber nur nebenbei und spar dir das Pulver für einen Leserbrief an die
Kungälvsposten
, wo er vielleicht etwas nützt. Ich finde, du solltest eine Atmosphäre schaffen, eine Art historische Stimmung.«
Langsam und methodisch ging Sara das restliche Material durch. Ihr fiel auf, dass sie das meiste auswendig wusste. Lycke las mit und versuchte, sich wenigstens einen Teil davon zu merken.
Sie öffnete die Haustür und hatte bereits einen Blick in den Kühlschrank geworfen, bevor sie merkte, dass die Kaffeemaschine lief. Gleichzeitig wurde
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