Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
die Klospülung betätigt. War Tomas schon zu Hause? Das Auto war doch gar nicht da.
»Hallo? Tomas?«, rief Sara.
Die Badezimmertür öffnete sich, und ihre Schwiegermutter Siri trat heraus. Sara hielt sich wohl oder übel zurück. Im Frühjahr hatten polizeiliche Ermittlungen gezeigt, dass Tomas’ Mutter eine dunkle Vergangenheit hatte. Ein alter Fall war noch einmal aufgerollt worden, was Saras ohnehin schon gespanntes Verhältnis zu ihrer Schwägerin und ihrer Schwiegermutter nicht gerade verbesserte.
»Hallo, Sara.« Siri machte keine Anstalten, sie zu umarmen.
»Äh, hallo«, erwiderte Sara matt.
»Ich habe Kaffee aufgesetzt.«
»Ist Tomas nicht zu Hause?«, fragte Sara.
»Ich glaube nicht.«
»Wie bist du denn hereingekommen?«
»Mit meinem Schlüssel.«
»Ich wusste gar nicht, dass du einen eigenen Schlüssel hast.«
»Da ihr mir nie einen gegeben habt, habe ich mir neulich selbst eine Kopie anfertigen lassen, als ich die Kinder gehütet habe. Ich meine, dann braucht ihr euch nicht drum zu kümmern.«
Sara spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Siri hatte sich einfach heimlich einen Schlüssel nachmachen lassen. Oder wusste Tomas davon? Du musst versuchen, das verminte Terrain zu verlassen, ohne sie zum Teufel zu jagen, sagte sie zu sich selbst.
»Was habt ihr für heute Abend geplant?« Siri schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. »Möchtest du auch einen?«Sara stellte fest, dass Siri sich soeben den Rest eingegossen hatte.
»Danke, schon okay, ich hatte gerade einen bei Lycke.« Nach kurzer Verhandlung mit sich selbst fasste Sara einen Entschluss. Sollte sie ihre Schwiegermutter unterhalten oder Lyckes Kollegen die Insel zeigen?
»Gut, dass du da bist, ich muss nämlich gleich eine Führung für den Vorstand von Lyckes Firma machen.« Vorstand klang in den Ohren ihrer Schwiegermutter bestimmt wichtiger, dachte Sara. »Es wäre ganz toll, wenn du die Kinder vom Kindergarten abholen könntest.«
»So lange wollte ich eigentlich nicht bleiben …«
»Tomas findet es bestimmt wahnsinnig nett von dir, und die Kinder werden sich freuen, dich zu sehen. Du bist ja nur noch so selten hier, und ich bin schon spät dran.«
Sara erblickte Lycke, die sich bereits auf den Weg machte. Hastig riss sie die Haustür auf.
»Hallo, Lycke. Alles in Ordnung, Siri ist hier, ich muss nur noch dafür sorgen, dass sie die Kinder abholt. Hast du Lust, kurz auf mich zu warten, dann können wir zusammen gehen.« Sara verdrehte die Augen. Lycke verstand den Wink und begrüßte Siri.
»Das ist aber nett. Da werden sich Linus und Linnéa aber freuen, wenn ihre Oma sie abholt und es sich am Freitagnachmittag mit ihnen gemütlich macht.«
»Gibst du mir fünf Minuten?« Sara raste ins Badezimmer. Rasch wusch sie sich das Gesicht und schminkte sich. Sie schlüpfte in einen frischen Pulli und eine Strickjacke und zog noch eine Windjacke darüber. Handy, Fahrkarte und Brieftasche steckte sie ein.
»Lieb von dir, Siri. Dann haue ich jetzt ab. Wir sehen uns später. Du kannst im Kindergarten gern die Fächer der Kinder ausräumen, ist ja Wochenende.«
Sara teilte dem Kindergarten telefonisch mit, dass dieGroßmutter die Kinder abholen würde, und rief anschließend Tomas an, um ihm zu sagen, dass er sich um das Abendessen mit seiner Mutter kümmern solle.
»Du hast es dir also anders überlegt?«, lächelte Lycke.
»Ein Freitagabend mit meiner Schwiegermutter oder etwas tun, was ich mich eigentlich nicht traue. Tja …«
»Du wirst das wunderbar machen.« Lycke reichte Sara das Material. »Du musst nur die Ruhe bewahren.« Gemeinsam spazierten sie hinunter zur Fähre und überquerten den Sund. Lyckes Kollegen standen bereits vor der Villa Maritime und warteten.
»Sind alle da?« Lycke sah sich um. »Scheint so. Das ist Sara von Langer. Sie wohnt hier in Marstrand. Außerdem ist sie meine Nachbarin, also benehmt euch ein bisschen. Sara wird mit uns einen Rundgang machen und uns etwas über die Geschichte der Insel erzählen. Ich hoffe, alle sind passend angezogen und tragen vor allem geeignete Schuhe. Wir sind etwa eine Stunde unterwegs. Kommt das hin, Sara?«
Sara nahm einen tiefen Atemzug und dachte sich: Jetzt ziehe ich das durch. Ruhig und gelassen. Sprich langsam und deutlich. Du kannst das, Sara. Und keiner von denen kennt deine Geschichte, niemand weiß von deinen Panikattacken. Sei einfach diejenige, die du sein möchtest.
»Das müsste hinkommen. Willkommen in Marstrand.«
Sara lächelte ihr Publikum an.
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