Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
Deutung haben die Menschen hier miterlebt, wie ganz normale Leute der Hexerei angeklagt und verurteilt wurden. Die Verurteilten durften nicht auf dem kirchlichen Friedhof bestattet werden, und auch die wenigen, die freigesprochen wurden, waren für den Rest ihres Lebens abgestempelt. Als unter diesen Umständen eine Angeklagte in der Kirche selbst beerdigt wurde, muss es trotz des Freispruchs böses Blut gegeben haben. Wenn diese Frau nicht die Witwe des Bürgermeisters und die Mutter des Pfarrers gewesen wäre, hätte sie niemals hier ihre letzte Ruhestätte gefunden, glaube ich. Deswegen hat man das Grab mit einer Drohung versehen. Man wollte nicht, dass es jemand schändet.«
In der Kirche war es mucksmäuschenstill.
Sara ging den Altargang zurück und blieb vor dem großen Opferstock stehen.
»Wer möchte, kann eine kleine Spende in den Seelenschrein werfen. Sie sollten ihn sich auf jeden Fall ansehen, weil er so einzigartig ist. Er stammt aus dem Jahre 1734 und war für diejenigen gedacht, die es sich nicht leisten konnten, der Kirche Kronleuchter, Kanzeln oder Gemälde zu schenken.«
Sara öffnete die Tür zum Turm und drückte auf den Lichtschalter.
»Bis zu den Kirchenglocken geht es ein ganzes Stück hinauf, und falls jemand doch umkehren möchte: Es gibt ein paar Treppenabsätze mit Platz für zwei. Die Holzstufen sind schon alt, also haltet euch am Geländer fest,und geht vorsichtig.« Nach diesen Worten machte sie den ersten Schritt.
Göteborg, Sommer 1980
Marianne war wild und ein wenig verrückt, und in ihrer Nähe schien alles möglich. Asko kannte niemanden, der so lebendig war wie sie.
Aina und Birger hatten Marianne mit offenen Armen empfangen. Sie sahen, wie Asko aufblühte und Marianne stolz den Arm um die Schultern legte. Von den beiden ging ein Leuchten aus. Vor dem Altar hielt er die Luft an, als der Pfarrer die entscheidende Frage stellte.
Mariannes Mutter war froh, dass Marianne Asko mit seinem soliden Wirtschaftsstudium kennengelernt hatte, und äußerst dankbar, dass er nicht so viele seltsame Ideen im Kopf hatte wie ihre Tochter. Dass Marianne eine halbe Stelle an der Universität gefunden hatte, beruhigte sie noch mehr.
Allerdings erzählte Marianne ihr nichts von den Reisen nach Glastonbury, die sie einmal im Monat unternahm, und dem geistigen Zentrum, das sie in Göteborg aufbaute.
Asko gefielen ihr unverfälschtes Engagement und die Gedanken, die sie sich über Gerechtigkeit und die Ressourcen der Erde machte. Auch wenn sie teilweise nicht mit seiner Weltsicht übereinstimmten, führten sie oft zu bereichernden Diskussionen. Manchmal kam er sich in ihrer Anwesenheit etwas beschränkt vor, und er wünschte, er wäre so befreit wie sie. Sie sah keinerlei Hindernisse und versuchte nie, sich selbst oder anderen vorzumachen, eine andere zu sein. Wahrscheinlich liebte er sie deshalb so.
Hin und wieder war sie vielleicht unnötig ehrlich. Diplomatie war nie ihre Stärke gewesen. Die Wohnung war voller indianischer Decken und Zaubertrommeln. Laut Marianne kam es darauf an, dass die Energien ungehindert fließen konnten. Er selbst hatte viel zu viel Energie darauf verschwendet, das Vergangene zu vergessen.
Asko betrachtete die Broschüren, die Marianne mit nach Hause gebracht hatte. »Aquarellmalerei ist ja okay, aber ›Psychometrie – das Gedächtnis der Dinge‹ und ›Male deine eigene Aura‹? Oder das hier: ›Heilen mit Kristallen‹?«
Aina verteidigte Marianne jedes Mal, wenn Asko die Kurse zu suspekt waren. »Es gibt so vieles, was wir nicht verstehen«, sagte sie immer.
»Natürlich, Mama …, aber …«, erwiderte Asko dann, doch Aina ließ sich nicht zum Schweigen bringen.
»Denk nur mal daran, wie unsere Wege sich gekreuzt haben. Ich finde, man sollte Respekt vor den Dingen haben, die man nicht versteht. Gerade weil man sie nicht versteht. Vielleicht kann man gar nicht alles erklären.«
»Das war aber nett«, sagte Lycke auf dem Weg von der Villa Maritime zur Fähre.
»Ja, das war ein gelungener Tag«, nickte Asko. »Vor allem die Führung hattest du gut organisiert. Sara ist deine Nachbarin, wenn ich dich richtig verstanden habe. Sie kennt sich gut aus. Macht sie so etwas öfter?«
»Nein, es war das erste Mal.«
»Wir sollten sie für den Aufwand entschädigen – kümmerst du dich darum?«
»Klar«, erwiderte Lycke und freute sich schon darauf, Sara davon zu berichten.
»Was hältst du eigentlich vom morgigen Programm?«
»Ich finde es prima«,
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