Die Tote im Badehaus
tun.
»Sie hat einen Zettel hinterlassen. Sie mußte schnell in die Arbeit.«
»In die Arbeit! Glaubst du ihr?« fragte ich.
»Jedenfalls hatte sie genügend Zeit, um noch mein Super-Hard-Gel und deinen Lieblings-MAC-Lippenstift zu benutzen.«
»Na toll.« Mariko hatte nicht viel getan, um ihre Unschuld zu beweisen, aber trotzdem machte ich mir Sorgen um sie. Erschöpft lehnte ich mich gegen die Wand, so daß ein Kimono verrutschte.
Hugh war hereingekommen und begutachtete die Wohnung. Ich folgte seinem Blick über die Regale aus Ziegelsteinen und Brettern, auf denen meine Kunstbücher und Richards japanische Comics standen, meine Wäsche, die neben den Heizgeräten trocknete, und schließlich den verdrückten Futon, den ich an diesem Morgen nicht zusammengerollt hatte.
»Das erinnert mich an das Zimmer meines jüngeren Bruders«, sagte Hugh lächelnd. »Nicht die Antiquitäten, wohlgemerkt, sondern die Unordnung.«
»Das hier sind Reis Räumlichkeiten«, erklärte Richard. »Mein Teil der Wohnung beginnt jenseits dieser Türen. Ich nehme nicht an, daß du meine Sammlung von Erwachsenenvideos sehen möchtest?«
Schon ewig hatte ich mich nicht mehr so geschämt. Ich rannte herum und stopfte verstreute Kleidungsstücke in den Schrank, während Richard Hugh herumführte – was angesichts der Größe unserer Wohnung nur fünf Sekunden dauerte.
»Habt ihr ein Telefon?« fragte Hugh vorsichtig.
»Natürlich. Aber keine Ferngespräche!« verlangte Richard.
»Ich höre nur meinen Anrufbeantworter ab, versprochen.« Hughs Schultern bebten vor Lachen, als er seine Nummer wählte. Ich betrachtete Richard stirnrunzelnd – es gefiel mir nicht, wie schnell er Hugh mit Beschlag belegt hatte – und zog das Fotoalbum aus einer der Mülltüten. Ich setzte mich damit neben das Heizgerät; Richard blickte mir über die Schulter.
»Welche ist Setsuko?«
»Die hübsche auf der linken Seite.« Eine neun- oder zehnjährige Setsuko blickte uns in einem marineblauen Matrosenanzug entgegen. Ein etwas älteres, stämmiges Mädchen stand neben ihr vor einem kleinen, baufälligen Haus mit Ziegeldach, wie sie heute gar nicht mehr gebaut werden.
»Ist das Mauerblümchen daneben ihre Schwester?« fragte Richard.
»Vielleicht.« Ich sah mir das verblaßte Photo genauer an. »Nein. Das muß Kiki sein, Marikos Vormund.« Schon damals war ein harter Zug um Kikis Mund, und ich erkannte ihre flache Nase wieder. Kiki trug ihr Kostüm so provokativ, wie es in Anbetracht der Umstände nur ging, der Rock war ein wenig hochgezogen, was aber leider nur ihre dicken Beine betonte.
»Ach was, das muß Setsukos Schwester sein«, insistierte Richard und blätterte im Album zurück. »Sie sehen sich zwar nicht sehr ähnlich, aber sie sind auf allen Fotos zusammen.« Da sah man sie, in geblümten Kimonos am Kindertag. Ich blätterte langsam die anderen Bilder durch, die sie in der späteren Kindheit und Jugend zeigten. Das letzte Bild war am aufschlußreichsten: die Teenager Setsuko und Kiki in Minikleidern, in einem verrauchten Nachtclub mit japanischen Geschäftsmännern posierend, die mehr als doppelt so alt waren wie sie. Sie hatten also zusammen als Hostessen gearbeitet.
»Was wissen wir über Marikos Mutter?« Hugh legte den Hörer auf und kam zu uns. Er streckte sich auf dem Boden aus, um seinen Knöchel zu entlasten.
»Setsukos Schwester Keiko ist nach Marikos Geburt gestorben«, sagte ich. »Das hat mir die Tante erzählt. Ich wollte es im Rathaus von Yokosuka überprüfen, aber ich hatte noch keine Zeit.«
»Aber Mr. Ota.« Hugh klang selbstgefällig. »Ich habe gerade die Nachricht bekommen, daß der Name Keiko Ozawa nicht bei den Todesfällen verzeichnet ist. Im Geburtenregister hat er 1954 einen Eintrag für Keiko gefunden, und 1956 war Setsukos Geburt eingetragen. Keiko hatte den japanischen Vater und wurde als eheliche, erstgeborene Tochter eingetragen. Weil Setsuko ein uneheliches Kind war, lautete ihr Eintrag anders …«
»Onna«, sagte ich. Das war eine abfällige Bezeichnung für Frau, die selten ausgesprochen wurde. »Das ist aber was ganz anderes als das, was mir Mrs. Ozawa, die Großtante, erzählt hat. Sie hat gesagt, Setsuko war die ältere, eheliche Tochter!«
»Nicht nach den offiziellen japanischen Akten. Entweder hat das Tantchen gelogen, oder wir sind großzügig und sagen, sie hatte Alzheimer.«
Kondenswasser vom Heizgerät hatte die Fenster beschlagen, und ich wischte mit den Fingern über das Glas, um auf die
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