Die Tote im Badehaus
dem führenden Maler von Kurtisanen in der Edo-Periode, blätterte ich langsamer. Ich verweilte über einem Bild von einer hübschen jungen Frau mit einem Glas Sake in der einen und einer gedünsteten Krabbe in der anderen Hand. Der übersetzte Titel lautete ungefähr: »Loses Gör, gesehen durch die moralisierende Brille seiner Eltern.« Ich lächelte.
»Das hier ist keine Bibliothek.« Hugh sprach mir direkt ins Ohr, so daß ich zusammenzuckte.
»Bist du unten fertig?« Ich schlug das Buch zu.
»Ja, Madam. Ich habe Disketten gefunden, aber keine davon war so beschriftet, wie Yamamoto es beschrieben hat. Ich habe sicherheitshalber alle kopiert, damit ich sie zu Hause durchsehen kann.«
»Ich habe viele Reiseführer gefunden, über Kalifornien, Florida, die Ostküste … auch über England und Schottland. Wolltest du Setsuko mit nach Großbritannien nehmen?«
»Nein! Wie oft muß ich dir noch sagen, daß wir kein Paar waren?« Hugh klang zornig.
»Da waren auch ein paar amerikanische Telefonbücher aus Dallas und San Diego. Vielleicht hat sie jemanden in Amerika gesucht«, sagte ich rasch.
»Aber du hast doch gesagt, sie hat ihren Vater gekannt.« Hugh nahm mir das Telefonbuch von Dallas aus der Hand und warf einen Blick auf den Buchrücken. »Mann, die sind ja aus der Bibliothek des TAC. Die werden mich köpfen!«
»Vielleicht steht der Name ihres Vaters darin … oder der eines anderen Familienmitglieds.«
»Jetzt haben wir jedenfalls keine Zeit zum Lesen.« Er steckte die Bücher in eine undurchsichtige Mülltüte.
Das große Schlafzimmer war eindeutig von Setsuko eingerichtet worden. Nur ein mit malvenfarbener Seide bezogenes Bett stand darin, auf einem schwarzlackierten Unterteil. Eine lange, vergoldete Tafel, auf die Schmetterlinge und Sommergräser gemalt waren, hing über dem Bett. Zu beiden Seiten des Bettes stand eine niedrige tans u-Kommode. Sehr Zen, sehr elegant. Eine dünne Staubschicht auf den Möbeln und den festgesteckten Bettdecken sagte mir, daß Mr. Nakamura seit einiger Zeit nicht mehr hier geschlafen hatte.
Ich durchsuchte die Kommoden und stieß dabei auf Toilettenartikel und Setsukos Unterwäsche, weiche Seiden- und Nylonstücke, die viel hübscher waren als alles, was ich besaß. Gemeinsam nahmen wir uns den Wandschrank vor. Es war klar, welche Seite Nakamura gehörte: Anzüge, Hemden, Golfkleidung. Ein schwarzer Spitzenbody steckte dazwischen, den Hugh schwungvoll herauszog.
»Glaubst du, er ist ein Transvestit?« fragte Hugh.
»Zu klein. Das ist ja fast meine Größe«, antwortete ich.
»Aber der Stoff ist zu billig, als daß es Setsuko hätte gehören können, und ihre Unaussprechlichen sind in der Kommode.« Hugh blickte mich skeptisch an, als ich an dem Body schnüffelte, der Spuren eines Puderdeodorants aufwies. Als das Telefon klingelte, schreckten wir beide zusammen.
»Vielleicht ist es jemand aus der Nachbarschaft, der überprüfen will, ob alles in Ordnung ist.« Trotz der Kälte wurde mir in der schwarzen Polyesteruniform langsam heiß.
»Der Anrufbeantworter müßte anspringen«, meinte Hugh.
Er tat es nicht. Ich zählte sechs Klingelzeichen, bis der Anrufer auflegte.
»Wir sollten verschwinden«, meinte ich, aber Hugh fuhr unbeirrt mit seiner Suche fort. Ich sah zu, wie er mit den Händen sanft durch die hellen Seidenblusen und die feinen Strickkostüme Setsukos fuhr. Als wären sie immer noch ein Teil von ihr, dachte ich mit einem flauen Gefühl im Magen.
»Wann er wohl ihre Sachen ausräumt«, überlegte ich laut, aber Hugh schien mich nicht zu hören. Er ging die Kleider schneller durch und überprüfte die Etiketten.
»Es ist nicht dabei«, sagte er. »Ein rotes Gianni-Versace-Kostüm, das ich ihr bei Mitsutan gekauft habe. Ist sie darin begraben worden?«
»Der Sarg war geschlossen, deshalb kann ich es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich bezweifle, daß man ihr etwas Rotes angezogen hat. Das ist zu grell.«
»Wo kann das Versace-Kostüm dann sein?« Er ging durch das Zimmer.
»Wahrscheinlich hat sie es zurückgegeben.«
»Niemals! Sie hat großartig darin ausgesehen. Außerdem hatte ich die Kreditkarte und die Quittung.«
»In japanischen Kaufhäusern kann man auch Sachen gegen Bargeld umtauschen, die man mit Karte bezahlt hat, ohne daß Fragen gestellt werden. Setsuko hat das häufig getan. Ich habe das letzten Sonntag herausgefunden.«
»Soll das heißen, sie hat mich betrogen?« Hugh setzte sich auf das Bett und drückte die makellos gefaltete
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