Die Tote im Badehaus
erwischt.«
Eine Schwester am Empfang hatte ihr Klemmbrett gesenkt und starrte uns an. Vielleicht war ich durch das Fernsehen schon so berüchtigt, daß sie mich trotz Perücke erkannte. Dann hörte ich, wie jemand neben ihr »Shimura- sensei « flüsterte, und ich begriff, daß ihr Interesse auf meiner Verbindung zum Schwarm des Krankenhauses beruhte.
»Kümmert sich mein Cousin um Mr. Glendinning?« Ich ging an den Empfang und hielt mich nicht erst mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln auf.
»Im Moment nicht. Endo -sensei ist jetzt bei ihm, aber wir sollen Shimura- sensei anpiepsen, wenn Sie hier sind.«
»Würden Sie das bitte tun?«
»Wir haben es bereits getan.« Sie blickte mich tröstend an. Ich bedankte mich und ging wieder zu Richard und Mariko zurück.
»Hat man die Angreifer erwischt?« fragte ich.
»Dein Cousin hat Hugh geraten, keine Personenbeschreibung abzugeben oder Anzeige zu erstatten, da es ya-san waren«, flüsterte Richard.
»Großartig. Die eine Chance, die wir hatten, Keiko festnehmen zu lassen und mit dem Mord an Setsuko in Verbindung zu bringen, ist vertan.« Ich vergrub den Kopf in den Händen.
»Weshalb nennt ihr Kiki eigentlich immer Keiko?« unterbrach Mariko. Sie klang mißmutig. Richard und ich warfen uns Blicke zu.
»Weil es ein und dieselbe Frau ist.« Ich hatte keine Zeit für milde Worte. Ich war wütend auf Mariko, weil sie weggelaufen war und das ganze anschließende Chaos verursacht hatte.
»Nein. Meine Mutter war eine großartige Frau, keine Mama-san!« Mariko schüttelte so heftig den Kopf, daß eine ihrer Dreadlocks Richard am Mund traf.
»Du hast recht, sie war großartig«, versicherte ihr Richard. »Das hast du nämlich von ihr geerbt.«
Mariko blickte skeptisch drein. Ich holte tief Luft und sagte: »Setsuko war deine Mutter.«
»Das finde ich nicht sehr lustig, jetzt wo meine Tante tot ist.«
Meine vorherige Direktheit tat mir jetzt leid, und ich erklärte ihr: »Setsuko war sehr jung, als du geboren wurdest – erst siebzehn. Keiko hat angeboten, sich um dich zu kümmern, und Setsuko hat dich nie vergessen. Das siehst du daran, wie sie sich immer noch um dich gekümmert hat.«
»Aber ich sehe ihr gar nicht ähnlich. Ich bin so dunkel …«
»Du bist schön«, sagte ich, und Richard schlang die Arme um sie.
»Was ist dann mit meinem Vater? Angeblich soll er nach Australien gegangen sein, um dort zu arbeiten …«
»Wir glauben, daß er ein amerikanischer Kriegsheld war, der in Vietnam gestorben ist. Wir haben ein Foto von ihm. Vielleicht könntest du mit Hilfe eines Rechtsanwalts Verwandte von ihm ausfindig machen …«
»Ich halte nichts davon, Leute ausfindig zu machen, die nichts von einem wollen. Und von diesem Scheiß hier halte ich auch nichts.« Eine Träne lief aus Marikos Auge und hinterließ eine dunkle Linie. Sie befreite sich aus Richards Umarmung, und ihre kleine, in schwarzes Leder gekleidete Gestalt verschwand taumelnd in dem glänzenden grauen Gang. Ein kleiner schwarzer Star, der aus dem Nest gefallen war, vielleicht für immer.
»Geh schon«, forderte ich Richard auf, und er folgte ihr.
Zehn Minuten später führte mich Tom zu Hugh, nachdem er alle Vorschriften, die nur Verwandtenbesuche erlaubten, mit seinem weißbekittelten Ärmel beiseite gewischt hatte.
»Sind die Reporter schon da?« flüsterte ich.
»Nein, und hier dürfen sie auch nicht herein. Wir berufen uns auf die ärztliche Schweigepflicht, um ihn zu schützen. Ich habe auch den Sicherheitsdienst alarmiert, weil unter Umständen, äh, ya-san auftauchen könnten.«
Hugh lag auf einem Krankenbett, das aussah, als wäre es fünfzehn Zentimeter zu kurz. Tom zog einen Trennvorhang darum zu, der uns vom Rest des Raumes abteilte. Gemeinsam betrachteten wir Hugh, der im Schlaf ruhig atmete. Es war offensichtlich, daß er dem Tod kein bißchen nahe war, aber sein linkes Bein hing in einer Schlinge.
»Er muß mindestens eine Woche hierbleiben«, sagte Tom.
»Wegen eines gebrochenen Knöchels?« fragte ich skeptisch.
»Das ist in Japan so.« Tom zuckte die Schultern. »Glaub mir, eine Woche ist noch bescheiden angesetzt. Ich kann versuchen, ihn früher zu entlassen, aber hier kann er sich wahrscheinlich sicherer ausruhen als anderswo.«
»Es kann immer noch sein, daß er angeklagt wird. Er braucht Zeit, um sich mit seinem Anwalt zu besprechen. Er hat keine Zeit, sich auszuruhen!« Toms unbekümmerte Art am Krankenbett ärgerte mich.
»Ja, darüber hat er sich vor der
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