Die Tote im Badehaus
hat recht, aber denken Sie bitte daran, daß wir nicht Kaffee oder kohi sagen dürfen. Wir müssen das italienische Wort Espresso verwenden, um die Besonderheit des Produkts hervorzuheben.« Die Maschine gehörte nicht zu meinen Lieblingen. Vor zwei Wochen hatte ich mir bei dem Versuch, Milch damit aufzuschäumen, die Hand verbrannt. Doch dies war weder der Ort noch die Zeit für meine persönliche Meinung. Die Männer arbeiteten während der Unterrichtsstunde erstaunlich gesittet mit, so daß uns am Ende noch eine Viertelstunde verblieb.
»Miss Shimura, dürfen wir bitte Konversation machen?« bat Mr. So. Ich war überrascht; normalerweise mochten die Schüler keine Übungen, bei denen sie nicht im Buch spicken konnten. Ich stimmte bereitwillig zu.
»Worüber sollen wir denn heute sprechen? Irgendwelche Vorschläge?« fragte ich.
»Aktuelles!« rief Mr. Nara.
»Gern. Was gibt’s Neues?« Ich hatte an diesem Morgen nur das Asian Wall Street Journal gesehen und keine Ahnung, was los war.
»Mr. Nara, haben Sie heute morgen ferngesehen?« fragte Mr. So derartig steif, daß ich mich fragte, ob er das vorher geübt hatte.
»Aber ja! Ich habe die Nachrichten gesehen. In dieser Sendung gab es sehr interessante Neuigkeiten.« Mr. Nara grinste und rieb sich die Hände. »In der Sendung sagen sie, daß Miss Shimura mit einem satsujin-han befreundet ist.«
»Das heißt Mörder«, sagte ich. Mir wurde kalt.
»Dieser Mörder ist ein gaijin aus Schottland. Schottland ist ein Teil von Großbritannien.« Mr. Nara grinste den Rest der Klasse an.
»Es ist interessant, daß Sie beschlossen haben, diesen Mann einen Mörder zu nennen«, antwortete ich. »In Japan darf ein Mensch genausowenig wie in den Vereinigten Staaten als Mörder bezeichnet werden, wenn er nicht verurteilt worden ist. Und wie Sie vielleicht gehört haben, wurde Mr. Glendinning verhört und freigelassen.«
»Verurteilt?« Jemand aus der Klasse bat um eine Übersetzung.
»Miss Shimura, sind Sie seine Freundin?« Mr. Nara kam näher auf meinen Schreibtisch zu und überschritt damit sowohl physische als auch emotionale Grenzen.
Über sein Privatleben zu sprechen war in Japan undenkbar; erst einen Tag nach der Geburt wurde zum Beispiel bekannt, daß Mr. Katohs Frau ein Baby erwartet hatte. Wenn Schwangerschaft innerhalb der Ehe ein Tabu war, wie stand es dann mit einer Affäre zwischen zwei Unverheirateten? Ich zögerte einen Moment zu lange, bevor ich sagte: »Ich weiß nicht genau.«
»Kein commento?« sagte irgendein Schlauberger.
»Dieser Kurs dient der Konversation über Sie, nicht über mich.« Ich wandte ihnen den Rücken zu und schrieb etwas auf die Tafel. »Hier ist ein Thema: Ich möchte von jedem wissen, wie die Verkaufsziele auf neue und interessante Art erreicht werden können.«
»Aber Miss Shimura, Sie sind neuer und interessanter!« jammerte Mr. So.
Wie konnte sich etwas Gutes so schnell zum Schlechten wenden? Ich verdrängte die Gedanken an Hugh und zwang mich, den Unterricht zu Ende zu führen. Als endlich die elektronische Melodie erklang, fiel mir die Antwort ein. Die Dinge waren die ganze Zeit über schlecht gestanden. Ich hatte es nur vergessen.
Merkwürdigerweise war Richard nicht gekommen, um seinen Abendkurs zu halten. Er hatte im Büro die Nachricht hinterlassen, daß ein Notfall eingetreten war; ich hoffte inständig, daß er nicht in der Wohnung gewesen war und eine weitere Katastrophe entdeckt hatte. Ich mußte schließlich seine Abendschüler mit meinen zusammen unterrichten und doppelt so viele Fragen und Gekicher ertragen. Nach der Arbeit blieb ich an meinem Schreibtisch sitzen und überlegte. Nachdem ich im Fernsehen gewesen war, brauchte ich eine Tarnung. Ich rief im Oi-Beauty-Salon an. Mrs. Oi hatte die Mittagsnachrichten gesehen und bot an, mir per Kurier eine Perücke zu schicken – ihr Enkel würde kommen, der absolut vertrauenswürdig sei, wie sie mir versicherte.
Es war schon dunkel, als der Kurier auftauchte. Ich verwandelte mich in die japanische Barbie, zog Richards alten Regenmantel über und verließ Nichiyu durch den Lieferanteneingang.
In meinem Mietshaus funktionierte das Licht, und die Treppe war mit brandneuen, solide wirkenden Brettern repariert worden. Ich machte vorsichtige Schritte. Als ich die Wohnungstür öffnete, hatte ich ein wenig Angst, aber sobald ich drinnen war, fühlte ich mich sofort wohl, wie immer, wenn ich nach Hause kam.
Richard war offenbar hiergewesen und wieder
Weitere Kostenlose Bücher