Die Tote im Badehaus
so geschockt wegen Osaka, daß mich der Unterton der neugierigen Bemerkungen meiner Schüler nicht mehr verletzte. Ich verbesserte Grammatik und Syntax aufs genaueste, damit keine Zeit mehr für freie Konversation oder irgendwelche Gedanken blieb. Mit meinen eigenen hatte ich schon genug zu tun.
Ich fing Richard um acht im Aufenthaltsraum ab. Als ich ihm von meiner Versetzung erzählte, wirkte er nicht überrascht.
»Sie haben mich auch gefragt, ob ich wechseln will, aber ich habe nein gesagt. Ich würde eingehen, wenn ich in einem Wohnheim mit Sperrstunde schlafen müßte. Ich hätte wissen müssen, daß sie dich dazu zwingen wollen.«
»Ich mache das nicht«, sagte ich. »Morgen lehne ich ab, und wenn das bedeutet, daß ich gefeuert bin, dann soll es eben so sein. Ich finde schon was anderes.«
»Du könntest bei Hugh wohnen.«
»Ohne seinen Job bei Sendai ist er bald raus aus der Luxusbude.« Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse. »Ich komme nach Hause. Jetzt wird es wohl sicher sein. Du bist schon seit ein paar Tagen da, und das einzige, was wahrscheinlich gestorben ist, ist mein Ficus.«
»Also, eigentlich schlafe ich gerade in deinem Zimmer.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir müssen es uns teilen.«
»Was?«
»Es muß sein. Ich habe Mariko überredet, bei uns zu wohnen, aber sie wollte unbedingt ein eigenes Zimmer. Außerdem hat mir dein Zimmer sowie immer besser gefallen.«
»Wegen des Ausblicks auf die Sandalenfabrik?« fragte ich ungläubig.
»Du bist doch kaum noch da. Du machst mich verrückt mit deiner Unentschlossenheit. Und die ganzen Anrufe! Weil du nicht reagierst, rufen die immer wieder an.«
Widerwillig nahm ich den vollgekritzelten Zettel, den er mir reichte. Ich war noch nicht soweit, mit Journalisten zu sprechen, und auch nicht mit meiner Mutter. Aber ich rief Joe Roncolotta an. Als er abhob, hörte ich ein hohles Klopfen in der Leitung. Als ich fragte, ob bei ihm eine Baustelle sei, lachte er.
»Ich applaudiere Ihnen, Kleines, über die Freisprechanlage. Sie sind dabei, die berüchtigste junge Frau seit Rie Miyazawa zu werden – wenn ich es mir recht überlege, klingen die Namen ziemlich ähnlich …«
»Wenn Sie mir schmeicheln möchten, haben Sie den falschen Vergleich gewählt.« Rie Miyazawa war Schauspielerin und Model gewesen. Sie war in Tokio einmal ganz heiß gehandelt worden, weil sie in einem Buch mit künstlerischen Aktaufnahmen abgebildet war. Jetzt kämpfte sie angeblich gegen die Magersucht und das nachlassende öffentliche Interesse.
»Ach, alle wissen doch, daß Sie eigentlich eine nette kleine Englischlehrerin sind. Einer meiner Freunde möchte sogar, daß Sie bei Nichiyu kündigen und eine neue Sprachenschule für ihn aufmachen.«
»Ich hoffe, Sie haben ihm gesagt, ich sei nicht interessiert.« Ich wollte nie wieder unterrichten.
»Ja, das habe ich. Ich habe schon angefangen, Sie zu managen.«
»Mich zu managen?« fragte ich skeptisch. »Ich versuche, mich möglichst zurückzuziehen, Joe. Ich trage eine Perücke und verstecke mich bei meinen Verwandten, weil die yakuza Hugh krankenhausreif geprügelt haben …«
»Sagen Sie dieses Wort nicht am Telefon«, schimpfte er.
»Wo waren Sie eigentlich an dem Mittwoch abend vor Silvester?«
»Erzählen Sie mir nicht, daß noch jemand umgebracht wurde«, sagte er sarkastisch.
»Aber überfallen. Vor dem Club Marimba.«
»Überprüfen Sie mein Alibi bei meiner Sekretärin, und passen Sie bis Freitag abend gut auf sich auf. Jemand mit Informationen, die Sie betreffen könnten, möchte mich im TAC treffen. Da findet der Schwarz-Weiß-Ball statt. Treffen wir uns dort um acht.«
»Okay«, sagte ich nach kurzer Überlegung.
»Stellen Sie sich auf eine lange Nacht ein, und tragen Sie Ihr schärfstes schwarzes oder weißes Kleid. Und kommen Sie ohne Perücke. Ich möchte, daß Rei Shimura als Rei Shimura kommt.«
»Morgen ziehe ich wieder in meine Wohnung«, sagte ich zu Tante Norie, während ich mit den Austern beschäftigt war, die sie zum Abendessen sautiert hatte. Sie war beunruhigt, weil ich ohne Tom nach Hause gefahren war, der noch im Krankenhaus zu tun hatte.
»Rei-chan, das hast du dir nicht gründlich überlegt.« Sie schob mir ein Tellerchen mit eingelegten Pflaumen, die ich besonders gerne mochte, hin.
»Ich kann doch nicht ewig hierbleiben. Das kann ich dir nicht zumuten.« Ich steckte mir eine verschrumpelte Pflaume in den Mund. Der süßsaure Geschmack war wie ein
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