Die Tote im Badehaus
Abschied.
»Du bist das Kind des Bruders meines Mannes. Wenn dir etwas passieren würde – die Nachrichten über dich sind schon schlimm genug …«
»War ich wieder im Fernsehen?«
»Du nicht, aber Glendinning-san. TBS Network hat berichtet, daß er mit Verletzungen von den yasan im Krankenhaus liegt. Jetzt wissen es alle!«
»Das ist gut so. Die yakuza sind so schlau, nicht vor einem Dutzend Kamerateams anzugreifen. Weißt du nicht, daß es im Auge des Hurrikans am sichersten ist?« Ich benutzte Hughs Worte für meine eigenen Zwecke.
»Heute hat ein Polizist angerufen. Ein Ferngespräch.« Sie spitzte die Lippen, und ich kaute weiter. Den Geschmack von Austern hatte ich noch nie gemocht, und auch nicht das wässrige Zeug in der Mitte. »Rufst du Captain Okuhara nicht an?« Sie ging ins Wohnzimmer und kam mit dem schnurlosen Telefon wieder.
»Ich würde lieber erst fertigessen.«
»Er hat gesagt, es sei dringend.« Tante Norie knallte das Telefon vor mir auf den Tisch.
Ich schob meinen Teller weg und wählte die Nummer, die sie auf einen Hello-Kitty-Block notiert hatte. Es dauerte drei Minuten, bis ich zu Okuhara durchgestellt war. Als er endlich am Apparat war, war ich schon ziemlich nervös.
»Shimura-san! Welch eine Überraschung, daß Sie eine richtige japanische Familie haben! Jetzt ist es gar kein Problem mehr, Ihnen Nachrichten zu hinterlassen.«
»Es tut mir leid, daß ich nicht früher zurückrufen konnte«, sagte ich. »Es ist alles etwas schwierig zur Zeit.«
»Das macht überhaupt nichts, aber wir haben noch ein paar Fragen an Sie. Es geht um ein paar Dinge, die geklärt werden müssen.«
»Worum geht es?« Langsam brach mir der Schweiß aus.
»Dazu würden wir Sie lieber persönlich befragen. In Shiroyama.« Meine Eßstäbchen fielen klappernd auf den Tisch.
»Wir können Sie abholen lassen, Sie können aber auch allein anreisen. Das liegt ganz bei Ihnen.« Captain Okuharas falsche Freundlichkeit wirkte wie ein kalter Regen.
»Im Moment paßt es mir gar nicht. Sie wissen doch, daß ich hier als Lehrerin arbeite, und nach Shiroyama ist es sehr weit.« Okuhara konnte mich sofort festnehmen, so wie er es mit Hugh gemacht hatte.
»Ich bin aber sehr interessiert daran, was Sie am Dienstag in Nakamuras Haus gemacht haben.«
Das konnte ihm nur Kenji Yamamoto gesagt haben. Ich dachte kurz an mein offenes Rückflugticket nach San Francisco. Nein, ich mußte ruhig bleiben.
»Ich komme natürlich, aber ich muß erst mit meinem Chef darüber sprechen.«
»Wir möchten Sie morgen sehen.«
»Ich unterrichte. Ich muß erst meinen Lehrverpflichtungen nachkommen. Wahrscheinlich kann ich am Wochenende kommen.« Ich könnte ihm die Diskette mit dem Marketingplan für Taipeh mitbringen, und was auch immer Joe Roncolotta mir am Freitag abend anzubieten hatte.
Er schwieg einen Moment, dann sagte er: »Keine Ausflüchte, Miss Shimura. Keine Tricks. Man wird am Flughafen auf Sie achten.«
»Das wird sicher langweilig werden.« Ich hängte auf, bevor ich mich noch weiter festlegte. Ohne Tante Norie zu beachten, ging ich ins Bad und übergab mich.
29
Am nächsten Morgen fuhr ich schon vor acht zu Roppongi Hills, um Hughs Laptop zu holen. Ich beschloß, einfach wortlos an der Empfangstheke vorbeizugehen.
»Shimura-sama?« Der Pförtner drückte sich so höflich wie nur möglich aus und verbeugte sich tief. »Damit Sie keine Schwierigkeiten bekommen, sollten Sie wissen, daß die Leute von TBS Television gewöhnlich innerhalb der nächsten Viertelstunde hier auftauchen. Vielleicht sollten Sie den Seiteneingang nehmen.«
Ich eilte den Korridor entlang zu Hughs Apartment und fragte mich, wieso der Mann mich kannte und wußte, wohin ich wollte. Big brother, dachte ich, als ich den kleinen Stapel Zeitungen und Briefe aufhob, der vor Hughs Tür lag. Den Geruch der Wohnung hatte ich ganz vergessen, eine Mischung aus Ledermöbeln, Putzmittel mit Fichtennadelduft und etwas Undefinierbarem. Ein grauer Wollpullover lag auf der Couch, neben einem der amerikanischen Telefonbücher. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er dort lag und darin blätterte.
Der kleine Nichiyu-Wasserkocher auf der Arbeitsfläche war noch eingesteckt. Ich schaltete ihn an und brühte mir eine Tasse Darieeling auf. Als ich im Kühlschrank nach Milch suchte, entdeckte ich eine Flasche Champagner und ein Körbchen makelloser Treibhauserdbeeren. Offenbar hatte er etwas besonders Leckeres vorbereitet.
Ich trank den Tee, während ich im
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