Die Tote im Badehaus
los.
»Ich habe noch nicht gefrühstückt, und Sie?« Mrs. Chapman griff nach einer meiner schweren Einkaufstüten und nahm meinen Arm.
»Doch, aber ich dachte, Sie hätten vielleicht ein bißchen Zeit für mich.«
Mrs. Chapman steuerte auf einen Coffeeshop zu und ging gleich nach hinten durch, wo es ruhiger war. Sie war offenbar Stammgast hier, so wie sie von den Kellnerinnen im Chor begrüßt wurde.
»Das Frühstücksgedeck?« Ein junges Mädchen mit einer Schürze und einem Bürstenhaarschnitt wie meinem kam, um uns zu bedienen. Sie sah mich an und kicherte.
»Das Salatgedeck, ich muß Diät halten. Für zwei«, bestellte Mrs. Chapman, ohne mir Gelegenheit zu geben, sie davor zu warnen, was nun kommen würde: eine einzelne Scheibe blaßgoldenen Toasts und ein Tellerchen mit Kopfsalat, Tomate und Gurke mit Mayonnaise darauf.
»Im Hotel gibt es das gleiche zum doppelten Preis«, sagte sie und langte mit Genuß zu, als das Frühstück kam.
»Treffen Sie sich noch mit Joe Roncolotta?«
»Ja, allerdings. Aber ich mache mir Sorgen um Sie! Wo kommen Sie denn so früh am Tag her?«
»Aus Hughs Wohnung.« Als sie mich tadelnd anblickte, begriff ich meinen Fehler. »Ich meine, ich war in seinem Apartment, aber er war nicht da.«
»In der Japan Times steht, er liegt im Krankenhaus.«
»Ja, das ist eine lange Geschichte, aber keine gute.« Der Kaffee schmeckte bitter, als würde er schon seit Stunden warm gehalten. Ich setzte die Tasse ab und starrte in die trübe Flüssigkeit. »Mein Mitbewohner sagt, ich wähle immer den schwersten Weg. Ich schwöre Ihnen, so etwas wie diese Geschichte wollte ich nie.«
Mrs. Chapman schnalzte mit der Zunge und drückte mich mit ihrer rauhen, großen Hand. »Ist er schwer verletzt?«
»Es ist ein unkomplizierter Bruch, aber er wird lange nicht laufen können. Ich bringe ihm heute ein paar Sachen. Ich habe da so ein Gefühl …«
»Was denn, Kleines?«
»Ich habe das Gefühl, wir hatten fast herausgefunden, warum Setsuko umgebracht wurde, wahrscheinlich auch von wem. Aber jetzt liegt Hugh im Krankenhaus, und ich muß alles allein machen. Ich habe so wenig Zeit.«
»Joe und ich können Ihnen doch helfen«, beschwerte sich Mrs. Chapman. »Weshalb haben Sie denn neulich seine Einladung, etwas trinken zu gehen, ausgeschlagen? Er war wirklich gekränkt.«
Ich dachte daran, daß er mich ohne sie auf den Schwarz-Weiß-Ball eingeladen hatte. Das mußte ich unbedingt für mich behalten. Statt dessen sagte ich: »Mit mir gesehen zu werden, ist eine Schande, und ich will ihm keine Schwierigkeiten mehr bereiten. Außerdem muß ich wahrscheinlich sowieso weg aus Tokio.«
»Wieso das denn?«
»Eine Versetzung, die ich nicht will. Und weil ich die Geliebte eines Mörders geworden bin. Alles mögliche.«
»Eher alles Unmögliche.« Mrs. Chapman preßte die Lippen zusammen. »Vielleicht ist es eine Botschaft von Gott.«
»Gott?« wiederholte ich dümmlich. Dann fiel mir wieder ein, daß sie in die Kirche ging. Sie war so fromm, daß sie sogar die englischsprachige Gemeinde in Omotesandō ausfindig gemacht hatte.
»Gott sendet uns manchmal die Botschaft, daß es Zeit für eine Veränderung in unserem Leben ist. Vielleicht ist es an der Zeit, daß Sie in die Staaten zurückkehren«, meinte sie.
»Ich hoffe nicht«, sagte ich, stand auf und nahm meine Taschen und Tüten. »Gott weiß jedenfalls, daß ich zu spät komme! Es tut mir leid, aber ich muß los.«
Mit müden Beinen kam ich an diesem Nachmittag im St. Luke’s an. Ich lief so langsam, daß eine Fotografin ihre Kamera in Ruhe auf mich einstellen konnte. Ich blieb stehen, um sie mir anzusehen – sie war die erste Kamerafrau, die ich in Japan zu Gesicht bekam, und in ihrer Weste und ihren Khakis sah sie bei weitem gepflegter aus als ihre Kollegen in Bluejeans. Etwas überrumpelt verbeugte sie sich, fast als würde sie sich für das, was sie tun mußte, entschuldigen. Ich erwiderte die Verneigung. Eine Kamera wurde ausgelöst, als ich wieder hochkam. Gut. Prinzessin Masako hätte sich nicht sittsamer verhalten können. Im Schwesternzimmer der Chirurgie sagte man mir, Hugh sei in ein anderes Zimmer verlegt worden. »Das Problem mit der Presse«, flüsterte mir die junge Schwester zu, die ihn am Tag zuvor rasieren wollte. Sie bestand darauf, mich in den Sicherheitsbereich zu begleiten, wo sie eine Codenummer eintippte, bevor wir in den langen Gang eingelassen wurden. Ich entdeckte eine große Gestalt in einem blauen
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