Die Tote im Badehaus
gutgefüllte Lunchbox hatte gehen dürfen.
»Ich fürchte nur, sie könnte dich vor mir beschützen.« Hugh zog mich näher und spielte mit den Knöpfen an meiner Bluse. Ich schob seine Hände weg, als der Vorhang aufging und eine junge Schwester mit einer Bettpfanne dastand, der der Mund offen stehenblieb.
»Ich glaube, du brauchst jetzt etwas Ruhe.« Ich stand auf.
»Und was brauchen Sie?« Hugh sah die Schwester an.
»Haare waschen und rasieren gefällig, Sir?« Sie schien ihn auf jede nur mögliche Art bedienen zu wollen.
»Hmm, vielleicht.« Er fuhr sich über sein stoppeliges Kinn.
Es war ein guter Zeitpunkt, zu gehen. Ich legte zwei Videokassetten, die ich auf dem Weg ins Krankenhaus besorgt hatte, zwischen die Blumensträuße.
»Was läßt du mir hier, eines von Richards aufregenden Videos?«
»Tut mir leid. Ich habe dir Die sieben Samurai und Yojimbo von Akira Kurosawa mitgebracht.« Ich erzählte ihm vom Urvater des japanischen Films und fügte hinzu: »Das sind Schwarzweißklassiker über die Zeit der Samurai, und sie haben sogar Untertitel! Da kannst du ein bißchen an deinem Japanisch arbeiten.«
»Lieber würde ich an dir arbeiten.« Seine Stimme sandte Ströme durch meinen Körper, die ich jetzt nicht brauchen konnte, nicht, wenn Krankenschwestern durch das Zimmer sausten wie Kugeln in einem Pachinkoautomaten.
»Ich komme morgen wieder. Soll ich dir irgendwas mitbringen?«
»Wie wär’s mit meiner Post, meinem Laptop und allen Disketten von Nakamura? Der Pförtner läßt dich rein.« Seine Miene hellte sich auf. »Warte. Hol dir Yamamotos Zweitschlüssel.«
»Mein Leben ist kompliziert genug«, protestierte ich.
»Wir haben nichts von ihm gehört oder gesehen, seit er zu Hause ist. Treib ihn doch ein bißchen in die Enge und stelle ihm ein paar von deinen gemeinen Fragen. Wenn man dein Verhör von Keiko als Maßstab nehmen kann, dann bekommst du wahrscheinlich etwas Brauchbares aus ihm heraus.«
Vielleicht würden sie dann noch jemandem die Beine brechen. Ich schrieb mir die Telefonnummer auf und winkte ihm von der Tür aus zum Abschied. Ich wollte lieber nicht noch einmal in seine Nähe.
28
Kenji Yamamoto wohnte mit seinen Eltern im Sunshine Mansions, einem weißgekachelten Apartmenthochhaus inmitten eines Meers glänzender geparkter Autos in der Vorstadt Setagaya, wo die obere Mittelklasse lebte. Ich hatte vorher angerufen und seine Mutter überredet, mich mit ihm sprechen zu lassen. Als ich kam, öffnete er die Tür, noch bevor ich überhaupt Zeit gehabt hatte zu klingeln, und streckte mir Hughs Schlüssel entgegen. Das ging mir alles zu schnell.
»Hier, bitte, auf Wiedersehen, Miss Shimura …«
»Tut das gut, nach der Kälte dort draußen!« rief ich, zog meinen Mantel aus und strich meine seidige Perücke glatt. Yamamotos Mutter, die hinter ihrem Sohn gestanden hatte, nahm mir wie ein Roboter den Mantel ab und hängte ihn in eine pseudofranzösische Garderobe.
»Bitte, kommen Sie doch herein, Shimura-san. Mein Sohn hat mir erzählt, Sie hätten sich im Urlaub kennengelernt, vor seinem schrecklichen Unfall«, sprudelte Mrs. Yamamoto los.
»So desu neh«, bestätigte ich. »Das ist aber eine hübsche Wohnung!«
»Ach, es ist fürchterlich eng hier.« Sie deutete auf die spießige grüne Samtgarnitur und die gerahmten europäischen Landschaften an den Wänden.
»Sind das alles Originale? Sie sind bezaubernd.« Ich trat ganz nahe davor und erkannte, daß zwei davon Malen-nach-Zahlen-Bilder waren.
»Wir haben sie letztes Jahr gekauft, als wir in Europa im Urlaub waren«, erzählte Mrs. Yamamoto. »Mein Mann und ich hatten unser ganzes Leben lang davon geträumt, Venedig zu sehen. Viele talentierte Künstler bieten ihre Werke ganz billig auf der Straße an! Da habe ich zu meinem Mann gesagt, wer weiß, wer der nächste da Vinci wird!«
»Ganz recht. Ich liebe die italienischen Maler!« Ich setzte mich an die äußerste Ecke eines kleinen Sofas und hustete hinter vorgehaltener Hand. »Oh, verzeihen Sie. Meine Kehle ist ein wenig trocken, weil so ein kalter Wind bläst.«
»Ich koche Tee!« verkündete Mrs. Yamamoto.
»Bitte machen Sie sich keine Mühe«, widersprach ich. Ich spielte meine Rolle vollendet.
»Kenji-kun, du hättest mir wirklich sagen sollen, daß deine nette Freundin uns besucht. So, es dauert nicht lange, Sie können sich ja ein bißchen unterhalten …« Als Mrs. Yamamoto in die Küche ging, begriff ich, daß sie sich vielleicht Hoffnungen für ihren
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