Die Tote im Badehaus
Bademantel, die an Krücken lief.
»Hugh?« rief ich. Er drehte sich um, verlor das Gleichgewicht und schlug längelang hin.
»Das wollte ich nicht!« Ich entschuldigte mich auf englisch und japanisch, während die Schwestern kreischten und die Pfleger um den auf dem Boden liegenden Körper zusammenliefen.
»Ich habe mich nur blöd angestellt. Es ist nichts passiert«, protestierte Hugh, obwohl ein Kratzer an seinem Arm blutete.
Ein halbes Dutzend Schwestern und Pfleger mußte mit anpacken, um Hugh ins Bett zu bringen und das Bein hochzuhängen. Als wir endlich allein waren, nahm Hugh mein Gesicht in die Hände und küßte mich so lange, daß ich beinahe vergaß, wo wir waren.
»Ich habe ziemlich schlechte Nachrichten«, flüsterte ich.
»Laß mich erst essen«, sagte er. »Was ich da rieche – ist das indisch?«
»Von Moti«, bestätigte ich, stellte es auf das schwenkbare Tablett und schob es vor ihn hin. »Ich habe dir das beste Spinatcurry und naan mitgebracht.«
»Mit deinem Essen und der Krankenhauskost bin ich Vegetarier, wenn ich hier herauskomme«, murrte er. Trotzdem aß er mit Heißhunger und fragte mich verspätet, ob ich auch etwas wolle.
»Nein, ich habe ausgiebig gefrühstückt. Du kommst nie darauf, wer mich dazu eingeladen hat.« Ich erzählte ihm von Mrs. Chapman.
»Sie ist ziemlich launisch, nicht? Daß sie immer noch in Tokio ist …« Er hob die rechte Augenbraue, und ich streckte den Finger aus, um sie wieder nach unten zu stupsen.
»Der Besuch hat mich wieder aufgerichtet.«
»Wieso?« Er zog mich wieder zu sich. »Was hat dich denn so beunruhigt?«
»Captain Okuhara will mich noch einmal verhören – in Shiroyama. Er weiß, daß ich in Nakamuras Haus war. Aber er weiß nicht, daß du auch dabei warst.« Ich wandte den Blick von seinem besorgten Gesicht und betrachtete meine Fingernägel, an denen ich mittlerweile wieder kaute.
»Mr. Ota hilft dir«, sagte Hugh nach einem Moment. »Es tut mir leid, daß ich dich überredet habe, mitzukommen. Nakamura muß dich im Garten entdeckt haben.«
»Nein, es war sicher Yamamoto, der es Captain Okuhara erzählt hat.«
»Wieso denn das?«
»Ich bin schuld. Als ich bei Yamamoto war, habe ich erwähnt, daß ich Nakamuras Schrank durchsucht habe. Und Yamamoto war sehr böse auf mich. Ich glaube, das war seine Rache.«
Es klopfte kurz, und mein Cousin steckte den Kopf durch die Tür.
»Doktor Tom!« begrüßte ihn Hugh. »Die morgendliche Visite?«
Tom sah mich verlegen an. Sollte ich gehen? Ich wollte aufstehen, aber Hugh nahm meine Hand.
»Erzählen Sie! Was gibt es Neues?« Er klang recht munter, aber ich spürte die Besorgnis darunter. »Ich bin heute eine Meile an Krücken durchs Krankenhaus gelaufen, aber Dr. Endo sagt immer noch nichts davon, daß ich gehen darf.«
»Eine Meile gelaufen und dann hingefallen, wie ich gehört habe«, sagte Tom und studierte Hughs Krankenblatt.
Ich trat ans Fenster und blickte auf den Sumida-Fluß. Auf so engem Raum mit meinem Cousin und meinem Liebhaber eingeschlossen zu sein, machte mich wider alle Vernunft nervös.
»Sie wissen, wie wir Patienten wie Sie nennen? Unkooperativ.« Tom sagte das ganz leichthin.
»Während Sie sich einfach der Polizei fügen. Und den yakuza, wie ich mir vorstellen kann, denn offenbar scheint ja jeder zu wissen, wo ich bin …«
»Hör auf!« befahl ich Hugh, dann wandte ich mich meinem Verwandten zu. »Tom, ich muß dich warnen: Hugh versteht keinen Spaß. Er hat einen sehr unterentwickelten Sinn für Humor.«
»Hugh-san, bitte lassen Sie mich meine Arbeit machen.« Tom hob Hughs Fuß an und drückte leicht auf seinen großen Zeh. »Tut das weh?«
»Ich spüre überhaupt nichts«, antwortete Hugh, obwohl ich sah, wie er zusammenzuckte.
»Er ist immer noch ziemlich geschwollen, wahrscheinlich weil Sie herumgelaufen sind. Wenn Sie liegen bleiben würden, würde die Schwellung zurückgehen, und wir könnten Ihnen endlich den Gips anlegen.«
»Moment. Dr. Endo hat mir etwas anderes gesagt. Angeblich werde ich nächsten Montag einen Gips bekommen, weil der Orthopäde wieder da ist. Ich werde behandelt wie ein drittklassiger Patient!«
»Es stimmt, wir haben sehr viel zu tun. Es schadet Ihnen nicht, wenn Sie noch eine Weile im Krankenhaus bleiben. Uns ist es lieber, wenn wir sichergehen können, daß der Patient vor der Entlassung vollständig genesen ist.«
»Sie erzählen mir also, daß man in Japan die Leute lieber länger im Krankenhaus behält, weil die
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