Die Tote im Badehaus
eine angemessene Scheidungsvereinbarung hatte. Keiko hat Nakamura erpreßt und gedroht, Setsuko von Hikari zu erzählen.«
»Hat er gezahlt?« Erpressung war ein Verbrechen, aber irgendwie gefiel mir die Vorstellung, daß der arrogante Geschäftsmann einer Frau gehorchen mußte. Hugh den Knöchel zu brechen und mich über die Fußgängerbrücke zu katapultieren war natürlich ein anderes Kapitel.
»Eine halbe Million Yen war die erste Rate. Damit ist die Sache mit seiner Firmenkreditkarte erklärt.«
»Aber jetzt, wo Setsuko tot ist, gibt es keinen Grund mehr für eine Erpressung. Er kann mit Hikari tun und lassen, was er will. Was für einen Grund hätte er also, dir zu helfen?«
»Er hat den Verdacht, daß Keiko hinter dem Mord steckt, aber er weiß nicht, wie er das beweisen soll, ohne seine Verbindung zu den yakuza zu offenbaren. Als ich Hikari angerufen habe, weil ich dringend ihre Hilfe brauchte, haben die beiden zusammen die Idee ausgeheckt, daß wir beide einbrechen und die Arbeit für ihn erledigen sollten. Deswegen hat er das Fotoalbum auf den Tisch gelegt und gehofft, daß wir es mitnehmen würden.«
»Das klingt, als würdest du ihn für unschuldig halten«, sagte ich. Meine Enttäuschung mischte sich mit der Erleichterung, daß ich nun nicht mehr mit einer Anklage wegen Einbruchs rechnen mußte.
»Für relativ unschuldig«, antwortete Hugh. »Über den Silvesterabend hat er deswegen so vage Lügen erzählt, weil er sich in einem Schrankzimmer versteckt und eine Stunde mit Hikari telefoniert hat. Ich habe heute die Rechnung meines Handys überprüft, und das hat sich als richtig herausgestellt.«
»Aha. Das fehlende Telefon, das du am Neujahrsmorgen vermißt hast!«
»Ein Schuß ins Schwarze, Miss Shimura!« Mit einer leichten Handbewegung brachte er mich aus dem Gleichgewicht, so daß ich an seinen Körper rollte. Ich war erstaunt über seine Erregung und über die Intensität meiner Reaktion.
»Sind die Briefe von Setsukos Vater noch hier?« Ich stand auf, um Karens Kleid und meine Willenskraft zu retten. Hugh deutete auf die Aktentasche, die Mr. Nakamura gestern mitgebracht hatte. Ich öffnete sie und fand ein Bündel alter Briefe. Der Schimmel hatte auf viele der Umschläge ein gelbgrünes Muster gezeichnet.
»Offenbar hat der Vater ihr alle sechs bis acht Wochen geschrieben. Vor kurzem gab es eine viermonatige Pause, und dann hat er auf einem Computer getippt. Wegen seiner Arthritis, schreibt er.«
»Hast du sie alle gelesen?«
»Tagsüber gibt es nicht viel zu tun, wenn einen niemand besucht außer Winnie.«
Ich nahm vorsichtig einen der älter aussehenden handgeschriebenen Briefe, so wie ich es in meinem Museumspraktikum gelernt hatte. Er trug das Datum vom 11. Oktober 1975.
Meine liebe Setsuko,
ich freue mich, daß du die 800 Dollar für den Kindergartenbeitrag der kleinen Mariko verwenden konntest. Ich kann mir kaum vorstellen, daß meine Enkeltochter schon vier Jahre alt ist. Ich freue mich auf ein Foto von ihr. Seit sie ein Jahr alt ist, hast du mir keines mehr geschickt, deshalb bin ich sehr gespannt, wie sie aussieht. Ich weiß noch, als du klein warst, hattest du ganz süße Grübchen … Es ist schwierig für mich, zu begreifen, daß du jetzt beinahe zwanzig bist und hart für deine Ausbildung an der Schwesternschule arbeitest.
»Anscheinend hat er gedacht, sie zieht Mariko selbst groß«, sagte ich.
»Beinahe jeder Brief ist eine Variation davon. Er spricht von dem Geld, das er geschickt hat, und bittet um Fotos und Schulzeugnisse.«
»War Setsuko denn Krankenschwester?« fragte ich.
»Laut ihrem Ehemann war sie es nicht. Wahrscheinlich hat sie das nur für ihren Vater erfunden, der in den Briefen ziemlich sentimental wirkt. Sie erwähnt einen Ehemann, der sie verlassen hat, so daß sie noch mehr als unschuldiges Opfer dasteht.«
Ich überflog noch ein paar nichtssagende Bemerkungen über das schöne Herbstwetter in Texas und las weiter bis zur Unterschrift, wo einfach nur »Vater« stand. Ich faltete den Brief wieder zusammen und steckte ihn zurück in den Umschlag.
»Sein Name taucht nirgendwo in den Briefen auf. Ich denke, er wollte nicht, daß sie ihn erfährt«, sagte Hugh.
»Hast du etwas dagegen, wenn ich ein paar mitnehme? Vielleicht ein paar von den späteren, die mit Computer geschrieben wurden?« fragte ich.
»Keine Chance. Außer vielleicht, wenn du mir einen ganz besonderen Liebesdienst erweist.« Er schob die Decke weg und zwinkerte mir
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