Die Tote im Badehaus
zu dem Polizeichef und eilte zurück in den Gang.
Ich erwischte die hübsche Trauernde vor der Damentoilette. In meinem dahingehauchtesten Japanisch stellte ich mich unter meinem Decknamen vor und sagte, ich arbeite für Sendai. Sie war Mrs. Matsuda, eine Freundin, die mit Setsuko in der besseren Gesellschaft Tokios die Teezeremonie gelernt hatte.
»Das wollte ich auch immer lernen, aber es soll sehr schwierig sein«, sagte ich, enttäuscht, daß sie nicht Setsukos Schwester war.
»Es ist unabdingbar, wenn man heiraten möchte. Haben Sie es denn schon einmal mit Kontaktlinsen versucht?« fügte sie schließlich vertraulich flüsternd hinzu.
»Mmm«, sagte ich und musterte sie. »Aber was bringt es einer Frau, wenn sie gut aussieht? Mrs. Nakamura war hübsch, aber so unglücklich.«
»Sie konnte keine Kinder bekommen. Sie hat alles versucht. Schließlich, ihr Alter … es war zu spät.«
»Die größte Freude einer Frau ist ein Baby.« Ich benutzte einen von Tante Nories Standardsätzen.
»Ja, Gott sei Dank. Ich bin mit dreien gesegnet. Setsuko war wie eine Tante für sie, sie hat ihnen immer Geschenke mitgebracht.« Ein kleines Lächeln fältelte Mrs. Matsudas perfektes Make-up.
»Das hört sich an, als sei sie ein sehr netter Mensch gewesen. Mir tut ihr Mann sehr leid, so ganz allein wie er jetzt ist.«
»Das wird vielen Sekretärinnen so gehen, da bin ich mir sicher.« Sie klang bissig.
»Sie hatte natürlich vor, ihn zu verlassen … die Scheidung …«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden!«
Mir wurde klar, daß ihre Freundschaft recht oberflächlich gewesen war. Ich fragte: »Sind denn irgendwelche Familienmitglieder hier? Ich würde ihnen gerne mein Beileid aussprechen.«
»Es gibt nur noch ihre Tante. Eine sehr traurige Dame. Ich glaube, sie hat Setsuko schon Jahre nicht mehr gesehen.«
»Wohnt sie weit weg?«
»Gar nicht. Aber wer kann schon wissen, wann ein geliebter Mensch von uns geht? Es ist alles so willkürlich.« Gleich würde sie wieder weinen, wie vorhin.
»Könnten Sie mir die Dame bitte zeigen? Ich würde ihr gerne meine Aufwartung machen …«
»Sie holt sich dort drüben ein Glas Sake – sehen Sie die alte Dame mit dem schlimmen Rücken? Ich habe sie zu überreden versucht, sich hinzusetzen, aber sie ist sehr eigensinnig. Sie wissen ja, wie lächerlich stolz die älteren Menschen oft sind.«
Ich mähte beinahe ein Trio von Kellnern nieder, die einen großen eisgekühlten Lachs trugen, als ich versuchte, die kleine Frau mit der Statur eines Fragezeichens einzuholen.
»Verzeihung, aber sind Sie Nakamura-sans Tante?« fragte ich.
»Oh, ja! Sind Sie Mariko-chan?« Ihre schwache Stimme klang erfreut. Doch leider mußte ich mich als Norie Fujita vorstellen, eine neue Sekretärin bei Sendai.
»Vergeben Sie mir, aber Sie sind wahrscheinlich etwa so alt wie meine Großnichte. Mein Name ist Ozawa, und ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
Mrs. Ozawa verbeugte sich gefährlich tief, und ich streckte die Hand aus, um ihren Ellbogen zu stützen. »Würden Sie sich eine Minute mit mir hinsetzen, Mrs. Ozawa? Ich würde gern ein Eckchen finden, wo es nicht so voll ist.«
»Ja, die Feier ist sehr gut besucht, nicht?« Sie klang stolz. »All diese hochrangigen Persönlichkeiten und die Fernsehkameras. Setsuko hätte das gefallen …«
Dieser Meinung war ich auch. Wir gingen zusammen durch einen Flur, und ich entdeckte ein Zimmer ohne Gäste, ein winziges Arbeitszimmer, dessen billige Sperrholzregale mit alten Elektronikzeitschriften gefüllt waren. Ein Sendai-Laptop ähnlich dem von Hugh stand auf dem Schreibtisch, der voller Papiere lag. Das mußte Mr. Nakamuras Arbeitszimmer sein. Es gab auch eine kleine Tweedcouch, die mir für Mrs. Ozawa geeignet zu sein schien. Ich überredete sie, hineinzugehen, und schloß die Tür.
»Ich schäme mich zu sagen, daß ich meine Großnichte nie gesehen habe, aber ich stelle mir sie Ihnen sehr ähnlich vor. Sie sind auch eine konketsujin?«
»Mmm. Ich bin in den Vereinigten Staaten aufgewachsen.« Wahrscheinlich hatte sie meinen leichten Akzent herausgehört.
»Dann sind Sie ja wie eine Prinzessin großgeworden.« Mrs. Ozawa lachte kurz und blechern. »Keine Probleme mit den Nachbarn. Für Harumi, Setsukos Mutter, war es sehr schwer. Nach dem Krieg wurden Japanerinnen, die ein Kind von einem Amerikaner bekamen, wie Abschaum behandelt. Den klugen unter ihnen gelang es, sich von ihrem Matrosen nach Amerika mitnehmen zu lassen.«
»Was soll
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