Die Tote im Badehaus
anzuzünden und so weiter. In sexy Kostümierung. Während wir uns unterhalten haben, hat sie sich ein Wahnsinnskleid angezogen.«
»Etwas Leckeres? Erzähl’s mir!«
»Das ist nicht deine Szene, Richard«, sagte ich und schlug den Weekender auf, um ihn eine Zeitlang auszuschalten. Auf der Gesellschaftsseite gab es nichts Spektakuläres. Der japanische Collegefrauenverband hatte eine Verkaufsausstellung zeitgenössischer japanischer Drucke im Tokyo American Club gesponsert. Jeder, der Rang und Namen hatte, war dort gewesen. Zwischen den gaijin und der asiatischen Elite, die mich in Schwarzweiß anlächelten, sprang mir ein Gesicht ins Auge. Ich sah genauer hin.
»Hey, was ist los?«
»Ich kenne diesen Mann«, sagte ich und betrachtete das kräftige Gesicht, das ich vor weniger als vierundzwanzig Stunden gesehen hatte.
»Joseph Roncolotta, Marketingguru und Direktor der Far East Ventures? Rei, der schöne Prinz war aber viel schnuckeliger.«
»Das ist der Mann, der auf Setsukos Trauerfeier mit Masuhiro Sendai geredet hat. Wow. Er ist reich, Amerikaner und alt! Weißt du, was ich denke?«
»Na ja, wir könnten beide einen reichen alten Knacker brauchen, der uns aushält.« Richard lehnte sich an die Telefonzelle, als ich die Auskunft anrief, um mir die Nummer von Far East Ventures geben zu lassen. Glücklicherweise war die Firma so klein, daß man mich gleich zum Anrufbeantworter des Chefs durchstellte. Auf englisch hinterließ ich meine Nummer und gab an, ich sei Amerikanerin und wolle ihn sprechen. Schnellstmöglich.
15
Als ich nach Hause ging, regnete es so heftig, daß meine obdachlosen Nachbarn ihre Versammlung in die stillgelegte Sandalenfabrik auf der anderen Straßenseite verlegt hatten. Ich sah ein Licht auf dem Boden flackern und hoffte, sie hatten einen Ofen. In solchen Zeiten mutete meine kleine Wohnung wie ein Palast an. Ich schaltete das Heizgerät ein und rannte zum Telefon, das gerade klingelte.
Es war Mrs. Chapman, die mit jemandem essen gehen wollte. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust, noch einmal nach draußen zu gehen, aber in ihrer Stimme lag so viel Pathos, daß ich doch zusagte.
Nachdem ich aufgelegt hatte, sah ich, daß der Anrufbeantworter blinkte. Joe Roncolotta hatte zurückgerufen: Er sei noch länger im Büro zu erreichen. Ich rief ihn an und freute mich, als er persönlich abnahm. Er sprach mit Akzent, aber recht ordentlich Japanisch.
»Hallo, hier spricht Rei Shimura.«
»Ein scheußlicher Tag, nicht?« sagte er.
»Ja, ich sehe aus wie eine ertrunkene Ratte.«
»Das ist schwer vorstellbar, so wie Sie sich anhören«, sagte Joe charmant. »Jetzt erzählen Sie mir noch, daß Sie eine der Shimura-Stahlerbinnen sind, dann glaube ich, ich bin gestorben und bereits im Himmel.«
»Tut mir leid. Ich arbeite für Nichiyu.«
»Nichiyu! Exzellente Reiskocher, und Sie haben auch eine neue Kaffeemaschine in der Entwicklung, nicht wahr?« Er klang nicht unerfreut. Ich stellte mir vor, wie bei ihm sofort andere Zahnräder in Gang gesetzt wurden.
»Mr. Roncolotta, ich muß über eine heikle Angelegenheit mit Ihnen sprechen. Persönlich wäre es besser.«
»Bitte sagen Sie Joe zu mir, und ich stehe zu Diensten. Wie wäre es heute zum Abendessen? Ich könnte mich freimachen.«
Ich überlegte, denn ich war ja mit Mrs. Chapman verabredet. Die Gelegenheit, so bald mit ihm zu sprechen, bevor er Zeit hatte herauszufinden, wie unbedeutend meine Position bei Nichiyu war, war zu günstig, um sie verstreichen zu lassen.
»Sehr gerne«, sagte ich entschlossen. »Das Problem ist nur, ich bin bereits mit einer Freundin verabredet. Hätten Sie etwas dagegen, wenn sie mitkommt?«
»Natürlich nicht. Kennen Sie das Trader Vic’s im New Otani?«
»In der Nähe der Station Akasaka-Mitsuke?« Das Restaurant war erschreckend teuer.
»Ja, aber an so einem Abend nehmen Sie besser ein Taxi.«
»Okay«, stimmte ich zu, ohne auch nur im Traum daran zu denken. Ich hatte in den letzten zwei Jahren nur ein einziges Mal ein Taxi genommen und war beinahe hysterisch geworden, als der Fahrer den Preis nannte.
Mrs. Chapman fuhr zum ersten Mal mit der U-Bahn, und es gefiel ihr. Auf der Fahrt ins Zentrum von Tokio instruierte ich sie, wie wir ihn über Setsuko Nakamura ausfragen sollten. Aber Mrs. Chapman schien sich mehr für sein Foto im Weekender und den kurzen Artikel über seinen guten Geschäftssinn zu interessieren.
Um fünf nach neun waren wir im Trader Vic’s, ein perfektes Timing.
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