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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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Die meisten Geschäftsmänner, die in der gemütlichen pseudopolynesischen Bar saßen, blickten auf, als wir hereinkamen, was mich in dem Gefühl bestärkte, daß es richtig gewesen war, hohe Schuhe und Karens Kostüm anzuziehen, auch wenn ich vielleicht nicht aussah wie eine leitende Angestellte von Nichiyu. Entweder war ich die Attraktion, oder es lag an Mrs. Chapmans Besuch beim Friseur.
    Joe war noch nicht da; vielleicht wollte er seine Macht demonstrieren, indem er mich warten ließ. Mrs. Chapman nahm einen Oldfashioned, und ich bestellte einen Whisky on the rocks. Während meine Freundin von Disneyland erzählte, blätterte ich mein Exemplar von Kunst in Asien durch, das ich mir mitgenommen hatte. Das Ganze machte mich nervös.
    »Sehr fleißig«, brüllte mir eine ausländische Stimme ins Ohr, als ich mitten in einem Artikel über die kaum bekannten Landschaftsdrucke des Holzschnitzers Keisai Yeisen war. »Machen Sie mir einen Suffering Bastard bitte, Mori-san. Und setzen Sie ihn auf die Essensrechnung, mit den Getränken der Damen.«
    Trotz seiner gut vierzig überflüssigen Pfunde strahlte Joe Roncolotta eine Energie aus, die ich faszinierend fand. Sein dickes silbernes Haar glänzte, und seine klaren blauen Augen schienen merkwürdigerweise sowohl mit Mrs. Chapman als auch mit mir zu flirten.
    »Wie nett, einmal einen Gentleman kennenzulernen. Marcelle Chapman aus Destin, Florida.« Mrs. Chapman strahlte und streckte ihm die Hand entgegen.
    »Woran haben Sie uns erkannt? Ich habe Ihnen nicht erzählt, daß meine Freundin Amerikanerin ist«, fragte ich, nachdem wir einen Tisch in der Mitte des kleinen, romantisch verdunkelten Speisesaals bekommen hatten, der an die Bar angrenzte.
    »Sie tragen dasselbe Kostüm wie in Seiji Nakamuras Haus.«
    Ich zuckte zusammen. Mein ausgeklügelter Plan löste sich schneller auf als die Eiswürfel in meinem Glas.
    »Wie war das?« Mrs. Chapman klang eingeschnappt, und mir fiel ein, daß ich ihr gar nichts von der tsuya erzählt hatte. Aber jetzt war nicht die Zeit dafür.
    »Was für eine Verbindung gibt es denn nun zwischen Nichiyu und Sendai? Und weshalb liest ein Mädchen mit einem japanischen Namen einen englischsprachigen Artikel über Holzdrucke?« Joes Lachen rollte durch den Speiseraum, so daß ein paar Leute aufblickten.
    »Ich bin eigentlich hier, um über Sie zu sprechen. Wie Sie hier angefangen haben und so erfolgreich geworden sind, und natürlich wollte ich Ihnen Mrs. Chapman vorstellen. Sie sucht unkonventionelle Unterhaltungsmöglichkeiten in der Stadt.«
    »Sightseeing, darüber kann ich Ihnen etwas erzählen«, sagte er und lächelte Mrs. Chapman an. »Aber sicherlich will keine von Ihnen beiden Geschichten aus der alten Zeit hören, da schlafen Sie ja ein.«
    »Sie sind doch ein Selfmademan, das finde ich faszinierend!« flirtete Mrs. Chapman und half mir aus.
    »Ich bin mit der Navy nach Japan gekommen.« Joe lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Als Matrose war ich in Yokosuka stationiert, wo die Amerikaner die alte Schiffswerft der Kaiserlichen Marine übernommen hatten. Die Leute hatten immer noch zu kämpfen, obwohl der Krieg schon zehn Jahre vorbei war. Das einzige Geschäft, das blühte, war der Schwarzmarkt.«
    Yokosuka. Irgend etwas tauchte in meiner Erinnerung auf, aber bevor ich etwas sagen konnte, war der Kellner gekommen, um unsere Bestellung aufzunehmen. Joe empfahl das Filet Mignon. Mrs. Chapman folgte seinem Rat, aber ich wählte ein südostasiatisches Gericht mit Garnelen.
    »Sie wollten uns gerade vom Schwarzmarkt erzählen. Wie hat das funktioniert?« fragte ich, als der Kellner gegangen war.
    »Die Ware ist hauptsächlich aus den Militärläden gekommen: Zigaretten, Nylonstrümpfe, Milky-Way-Riegel, Scotch wie der, den Sie heute abend trinken. Ich habe es wie jeder andere Matrose auch gemacht. Ich habe das Zeug hinausgebracht und es einem Typen gegeben, den ich nicht kannte. Dann kam ich auf die Idee, andere Matrosen für mich arbeiten zu lassen.«
    »Sie wollten ein großes Geschäft daraus machen!« Ich fand das ziemlich geschmacklos, aber ich versuchte, meine Gefühle zu verbergen.
    »Genau. Als meine Dienstzeit beendet war, verdiente ich auf dem Schwarzmarkt weit mehr, als ich in den Staaten jemals verdient hätte.«
    »Sie hätten auf Kosten der Armee studieren können, wie mein Ehemann«, schlug Mrs. Chapman vor.
    »Ich bin wahrscheinlich nicht so schlau wie Ihr Ehemann«, lachte Joe.
    »Er ist gestorben.«

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