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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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der Türsteher nicht rausgekommen wäre, wäre ich jetzt tot.«
    Ich suchte fieberhaft nach Erklärungen; ich zwang mich zur Ruhe und fragte, wo sie stecke. Sie war in Narita, einer Stadt nordöstlich von Tokio, die hauptsächlich wegen ihres Flughafens bekannt ist.
    »Willst du wegfliegen?« fragte ich.
    »Ja. Deshalb rufe ich an. Kannst du mir deinen Paß und etwas Geld leihen?«
    »Mariko, wir sehen uns nicht im mindesten ähnlich, und Leute mit amerikanischem Paß sprechen für gewöhnlich Englisch. Und was das Geld angeht, ich verdiene wahrscheinlich nicht einmal halb so viel wie du!«
    »Ich weiß, aber du siehst aus wie jemand, der spart.«
    »Erbärmlich wenig. Sag mir, wo du heute übernachtest.« Ich stellte mir vor, wie sie vor einem geschlossenen Bahnhof an einer Telefonzelle lehnte.
    »Im Violet Venus.«
    »Wo?«
    »Das ist ein Love-Hotel, ein Stundenhotel. Es ist billig, und man muß seinen Namen nicht angeben.«
    »Erzähl mir genau, was passiert ist.« Ich zog den Hörer mit unter die Decke, um die verbliebene Wärme noch zu erhalten.
    »Um acht Uhr bin ich raus, um einen Liter Sahne für die White Russians zu holen.« Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, daß sie von Cocktails redete. »Jemand hat neben der Hintertür gewartet. Ich bin hinaus, da hat er mich gepackt und mir etwas Weißes über den Kopf gezogen. Ich habe ausgeholt, um ihn in die Eier zu treten, da hat er mich gewürgt.« Ein langgezogenes Schluchzen. »Dann hat unser Türsteher die Hintertür geöffnet. Der Typ hat mich hingeworfen und ist abgehauen.«
    »Konntest du ihn sehen?«
    »Er war doch hinter mir!«
    »Was ist mit dem Türsteher?«
    »Um die Ecke konnte er nichts sehen.«
    Ich erwartete schon eine negative Antwort, fragte aber trotzdem: »Was meint die Polizei dazu?«
    »Ich habe sie nicht angerufen. Kiki sagt, je weniger wir mit der Polizei zu tun haben, desto besser. Es hat einmal ein Problem mit der Alkohollizenz gegeben.«
    »Aber jemand ist hinter dir her. Du kannst doch nicht dein Leben aufs Spiel setzen, nur weil Mamasan Lizenzprobleme hat!«
    »Ich gehe nicht zurück.« Sie schluchzte wieder. »Auch wenn Kiki wahrscheinlich ein paar Freunde losschickt, nach mir zu suchen.«
    In Kikis Metier waren diese Freunde höchstwahrscheinlich Gangster. Ich konnte nachvollziehen, weshalb Mariko nicht gefunden werden wollte.
    »Es war sehr tapfer und intelligent, daß du heute abend die Bar verlassen hast«, sagte ich und versuchte, mich selbst davon zu überzeugen. »Ich komme morgen früh mit dem ersten Zug und hole dich ab. Mach dir keine Sorgen, okay? Ab jetzt gehören wir zusammen.«
     
    Mariko erklärte sich widerwillig bereit, nach Tokio zurückzufahren und mich am nächsten Morgen vor der Station Shibuya bei der Statue von Hachikō, Japans berühmtestem Hund, zu treffen. In der Stadt erzählte man sich die Geschichte des Akita, der treuer Gefährte eines Professors war und ihn jeden Abend vom Zug abholte, um mit ihm zusammen nach Hause zu gehen. Der Hundebesitzer starb irgendwann in den zwanziger Jahren, und der Hund streunte herum. Trotzdem kam er noch über zehn Jahre lang jeden Abend zur Station Shibuya, in der Hoffnung, sein Herrchen würde aus dem Zug aussteigen. Der alte Hund wurde zu einem nationalen Symbol für Treue; als er 1935 dann in den Hundehimmel kam, wurde eine Bronzestatue aufgestellt. Hachikōs Abbild war als Treffpunkt so beliebt, daß man sich am Kopf oder Schwanz verabreden mußte.
    Ich drängte mich durch Hunderte von Schülern, die sich für einen Ausflug versammelten, und fragte mich, ob ich wohl ebenso vergeblich warten würde wie Hachikō. Doch kurz darauf zupfte mich jemand am Ärmel.
    »Mariko?« fragte ich zögernd. Vor mir stand jemand mit blonden Dreadlocks, schwarzer Lederjacke und engen Jeans über Stiefeln mit Plateausohle. Unter einem langen Chiffonschal, der am Hals etwas zur Seite gerutscht war, entdeckte ich schwache blaue Flecken.
    »Urusai wa yo.« Nicht so laut, flüsterte sie.
    »Dann schnell los.« Ich ließ den Blick über die Menschenmenge schweifen und entdeckte Richards Blondschopf, der auf und ab federte, als er auf uns zukam. Ich hatte ihm gesagt, er solle bei dem Williams-Sonoma-Schaufenster warten, bis ich ihm ein Zeichen gäbe, aber natürlich hatte er es so lange nicht ausgehalten.
    »Deine Dreads sind superklasse. Spielst du in einer Band oder so?« schwärmte Richard in japanischem Slang.
    Mariko schüttelte den Kopf und wurde rot. Richards blauäugig-blonder

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