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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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»Wenn Sie Produkte in diesem Land einführen wollen, dann müssen Sie sich anpassen.«
    Am Silvesterabend hatte ich praktisch dieselben Worte gebraucht, um Hugh Glendinning zu kritisieren. Wie selbstgerecht ich gewesen war, mich meines enzyklopädischen Wissens über Japan gebrüstet hatte. Durch das Gespräch mit Joe Roncolotta war mir klargeworden, wieviel ich noch lesen mußte.

16
    Als irgendwo in dem Tunnel zwischen Nacht und Morgen das Telefon klingelte, riß es mich aus einem schrecklichen Traum, in dem Nakamura mein Chef bei Nichiyu und Hugh mein Schüler war. Wir drei standen in einem Klassenzimmer voller riesiger Mandelsticks, die drohten umzufallen, wenn sich einer von uns bewegte.
    Schläfrig langte ich nach dem Telefon. »Moshimoshi?«
    »Entschuldigen Sie vielmals, Shimura-san. Hier spricht Okuhara.«
    Ich schaltete eine alte Blechlaterne an, die ich an Strom angeschlossen hatte, und warf einen Blick auf meinen Seiko-Wecker. Es war zwei Uhr fünfzehn.
    »Ich rufe wegen Mayumi Yogetsu an.« Der Polizeichef kam schnell zur Sache.
    »Die Pensionsbesitzerin? Wenn es um das zerrissene sh ō ji -Papier geht, ich zahle es.«
    »Darum geht es nicht. Mrs. Yogetsu ist heute abend im Rettungswagen gestorben, nachdem sie um elf Uhr in der Station Minami-Senju, die bei Ihnen in der Nähe liegt, gestürzt ist.«
    Ich hielt den Atem an, während Okuhara weitererzählte. Der Fahrer war gerade in südlicher Richtung in den Bahnhof eingefahren und bemerkte eine Frau mittleren Alters, die allein auf dem Bahnsteig wartete. Plötzlich löste sich eine Gestalt aus dem Schatten und schubste die Frau auf die Gleise. Der Fahrer, der am anderen Ende des Bahnhofs halten sollte, konnte den Zug nicht mehr bremsen und überfuhr Mrs. Yogetsu. Als der Zug zum Halten gekommen war und die Türen aufgingen, war die Person, die sie gestoßen hatte, verschwunden.
    »Das können Sie Hugh aber nicht anhängen.«
    »Sicherlich nicht. Er ist an dem Abend in seiner Zelle gewesen und hat gejammert, daß wir ihm seinen Laptop zurückgeben sollen! Shimura-san, der Grund für meinen Anruf ist Ihre Rolle bei dem Unfall.«
    »Meine Rolle? Ich verstehe nicht.«
    »Die Handtasche der Toten wurde platt gefahren. Trotzdem haben wir einen Zettel darin gefunden, auf dem Ihre Adresse und Ihre Telefonnummer notiert waren.«
    »O nein.« Ich erinnerte mich an meinen letzten Anruf in der Pension. Mr. Yogetsu hatte gesagt, seine Frau wolle mich sprechen, und ich hatte gleich aufgelegt.
    »Wann sind Sie heute abend von der Arbeit nach Hause gekommen? Kann jemand Ihre Aussage bestätigen?«
    »Ich bin noch einmal weggegangen.« Ich stammelte etwas über das Abendessen im Trader Vic’s und war froh, daß uns so viele Leute gesehen hatten. Joe hatte darauf bestanden, uns in einem Taxi nach Hause zu schicken; der Fahrer würde sich an uns erinnern. Trotzdem, für Joe wäre es ein recht unangenehmes Nachspiel, wenn ihn jetzt noch ein Polizist belästigen würde. »Bitte rufen Sie meinen Begleiter erst morgen vormittag an, ich bin sicher, er schläft jetzt …«
    »Ich soll warten, bis Sie ihn vorgewarnt haben, meinen Sie? Ich brauche den Namen jetzt, damit ich den englischsprechenden Beamten in Tokio damit beauftragen kann.«
    Nachdem Captain Okuhara aufgelegt hatte, saß ich ein paar Sekunden da und versuchte, das alles zu begreifen. Ich hätte gar nicht so schnell aus Shiroyama abreisen müssen; der Tod war mir offenbar gefolgt. Jetzt konnte ich mir nur noch den Kopf darüber zerbrechen, was mir Mrs. Yogetsu wohl hatte sagen wollen.
    Vielleicht wußte es Mr. Yogetsu. Ich wählte die Nummer des Minshuku Yogetsu und übte schon, was ich sagen wollte. Doch ich legte gleich wieder auf, als ein Polizist an den Apparat ging.
    Das Telefon klingelte schon wieder. Richard stöhnte protestierend auf der anderen Seite der Wand. Ich nahm ab, in der Erwartung, es sei wieder Okuhara. Doch jemand sagte schluchzend und schniefend meinen Namen. Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, daß es Mariko Ozawa war. Offenbar hatte sie doch beschlossen, Gebrauch von meiner Visitenkarte zu machen.
    »Rei? Ich brauche dich«, jammerte sie.
    »Was ist los?« Ich ahnte Schlimmes.
    »Jemand … jemand hat versucht, mich umzubringen.«
    »Was?« wiederholte ich und zog die Decken fester um mich. Die Temperatur im Raum schien plötzlich gefallen zu sein.
    »Jemand hat mich draußen vor der Bar gepackt. Er hat mir einen Sack oder so etwas über den Kopf gestülpt und mich gewürgt. Wenn

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