Die Tote im Badehaus
Zauber schien wieder seine übliche Wirkung zu entfalten.
»Das ist Richard«, stellte ich ihn vor. »Er ist so eine Art Bruder für mich. Wir wohnen zusammen, das konnte ich dir gestern nacht nicht mehr sagen.«
»Ich bin dein Leibwächter, okay?« Er vollführte einen filmreifen Karateschlag und brachte damit eine Gruppe Schulmädchen zum Kichern. »Ich habe mir einen ziemlichen Umweg für die Rückfahrt ausgedacht. Wir wechseln immer wieder zwischen der Ginza- und der Hanzomon-Linie hin und her, um etwaige Verfolger abzuschütteln.«
»Keine Sorge, mit dieser Frisur bist du absolut nicht zu erkennen«, beruhigte ich sie. Um ehrlich zu sein, ich fand sie schauderhaft.
»Das ist eine Perücke«, sagte sie stolz. »Ich wollte mir die Haare eigentlich bleichen, aber es war zu wenig Zeit.«
»Eine Freundin von mir macht es für den halben Preis. Die Jacke ist übrigens klasse. Ich habe eine Weste, die würde wunderbar dazu passen.«
»Gefällt sie dir? Ich habe sie in Shinjuku im New Boys Look gekauft.«
»So was!« krähte Richard. Lautlos hauchte er mir zu: »Danke, Baby!«
Während wir mit der U-Bahn in nördlicher Richtung fuhren, unterhielten sich die beiden über Kleider, was ich als Zeichen dafür interpretierte, daß Mariko sich langsam sicher fühlte. Als wir an der Station Minami-Senju ausstiegen und über die stählerne Fußgängerbrücke gingen, die zu der befahrenen Hauptstraße führte, verzog Mariko die Nase bei dem Gestank der Dieselabgase.
»Ich hätte nicht gedacht, daß hier gaijin leben«, sagte sie.
»Eine bessere Gegend können wir uns nicht leisten«, antwortete ich und führte sie ins Haus. Sie meckerte die ganze Zeit, während sie die drei Stockwerke hinaufstieg. Als ich die Wohnungstür öffnete, rauschte sie an mir vorbei und trat auf meinen Linoleumboden, den ich vergeblich versuchte sauberzuhalten.
»Deine Stiefel!« rief ich.
»Ich dachte, Ausländer tragen zu Hause Schuhe. Was ist denn das alles für historisches Zeug?« Mariko starrte meine mit Kimonos und Holzdrucken dekorierten Wände an.
»Das ist Teil deines Erbes. Gefällt es dir?« Ich hängte ihre Lederjacke über einen lackierten Kimonoständer.
»Tante Setsuko mochte Antiquitäten. Mir sind die siebziger Jahre lieber, Pink Lady und das ganze Zeug.«
Mariko war eine Meisterin im Ablenken; sie war bestimmt eine einmalige Hostess. Ich unterbrach einen Redeschwall über die längst aufgelöste Popgruppe Pink Lady und bestand darauf, daß sie Richard und mir von dem Überfall erzählte.
»Was soll ich noch dazu sagen? Ich habe euch schon alles erzählt. Ich will eigentlich gar nicht mehr daran denken, ich will einfach nur in Sicherheit sein.« Sie schwankte leicht, und Richard sprang ihr schnell zur Seite.
»Rei, du bist einfach gefühllos.« Er warf mir einen entrüsteten Blick zu.
»Ich will nicht, daß Mariko das gleiche wie Setsuko passiert«, sagte ich. »Mariko, überleg mal, wer in letzter Zeit in der Bar gewesen ist …«
»Ich unterhalte mich mit vielen Männern, und manchmal werden sie sauer, wenn ich sie nicht privat treffen will. Es sind so viele, mindestens zwölf, wenn nicht viel los ist, und bis zu zwanzig, wenn viel Betrieb ist … wie soll ich da den Überblick behalten? Außerdem kann ich nicht denken, wenn ich Hunger habe«, sagte sie mit Kleinmädchenstimme.
»Okay, wir frühstücken erst mal.« Ich ging in die kleine Küche und schnippelte Shïtake- Pilzeund eine schrumpelige Schalotte. Ich wollte ein Sechs-Eier-Omelett machen und es dritteln.
»Rei, du mußt ein besseres Messer besorgen. Schau mal, wie schlecht es schneidet«, nörgelte Richard, als würde er jemals mehr in der Küche tun als eine Bierflasche öffnen.
»Mein Messer ist gut.« Ich blitzte ihn böse an. »Wenn der Messerschleifer wieder kommt, werde ich es ihm geben. Mariko, neben dem Futon ist übrigens ein Stapel Zeitungen mit Artikeln über den Tod deiner Tante. Vielleicht interessieren sie dich.«
Sie warf einen Blick auf die Japan Times und legte sie weg. »Ich kann nicht viel Englisch lesen. Ich bin wohl ziemlich dumm.«
»Das stimmt nicht. Du bist klug genug, um zu sagen, was du willst, und endlich diese Hostessenbar zu verlassen.« Ich hätte noch weitergepredigt, aber Richard schnitt mir das Wort ab, indem er anbot, den Artikel aus der Japan Times ins Japanische zu übersetzen. Mariko nahm das Angebot dankend an und rutschte ein Stück, so daß Richard es sich neben ihr auf meinem Futon bequem machen konnte. Sie
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