Die Tote im Badehaus
Kellnerin sie gesteckt hatte, und versuchte, die Wut zu unterdrücken, die in mir aufstieg. Ich verdankte den Ikedas viel. Sie hatten mich in Shiroyama herumgeführt, die Schnitzerei in dem Kästchen entdeckt und es sogar persönlich in die Stadt gebracht, um es mir zurückzugeben. Aber ich verdankte ihnen auch noch etwas, das ich nicht wollte: quälende Zweifel.
Ishida Antiques hatte bereits geschlossen, als ich an dem schmuddeligen Haus aus den dreißiger Jahren ankam, wo Mr. Ishida zwischen seinen japanischen Schätzen arbeitete und wohnte. Wahrscheinlich war er zu Hause. Ich klopfte, bis er den Kopf aus einem der oberen Fenster streckte.
»Shimura-san! Warten Sie kurz, bitte!« Ein Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht des Mannes, der auf den Schreinflohmärkten immer so fromm dreinblickte wie ein Mönch.
Ich wartete, bis er die Tür entriegelte, die knarzte wie in einem Horrorfilm, aber in ein Paradies voller staubiger Möbel führte: Tische standen übereinander, Keramikurnen waren in Türmen gestapelt, die sich zwar neigten, aber nie umfielen. Heute roch es in dem Laden nach Orangen. An einem wunderschön geschnitzten Miniaturschrein über dem Eingang entdeckte ich schließlich ein paar Mandarinen als Opfergabe.
»Ich habe Ihnen etwas Geheimnisvolles mitgebracht.« Ich zog mein Kästchen aus der Mitsutan-Einkaufstüte. Während Mr. Ishida es untersuchte, erzählte ich ihm die Sage von Prinzessin Miyo.
»Ich kenne die Geschichte natürlich. Sie möchten wahrscheinlich wissen, ob Ihr Kauf etwas mit der Legende zu tun hat.« Er stellte das Kästchen hin.
»Könnte es echt sein?« fragte ich.
»Es ist interessant. Besonders, weil der Name in hiragana und nicht mit kanji geschrieben ist.«
»Die meisten Frauen haben in hiragana geschrieben, oder?«
»Ja, sie haben die phonetische Schrift benutzt, weil sie früher keine kanji lernen durften. Aber Prinzessin Miyo war um 1860 eine junge Dame. Damals wurde im Zuge der nationalen Reformen ein Lehrplan für alle eingeführt. Gerade eine Prinzessin hätte einen Privatlehrer gehabt.« Mr. Ishida kratzte sich an der Wange.
»Was ist mit der Schnitzerei? Glauben Sie, eine Frau hätte so etwas beigebracht bekommen?«
»Aber sicher. Adelige Frauen hatten oft ein Messer dabei, um im Notfall Selbstmord begehen zu können.«
»Vielleicht ist es also gar keine Fälschung.« Meine Laune besserte sich.
»Selbst wenn sie das nicht selbst geschnitzt hat, wurde es auf jeden Fall im neunzehnten Jahrhundert gemacht. Ich zeige Ihnen etwas zum Vergleich.« Mr. Ishida wühlte in einer Ecke und brachte einen kleinen hölzernen Hibachi zutage – ein Becken, in dem früher Kohle verbrannt wurde, um das Haus zu heizen. Die eine Seite des Hibachi war mit kalligraphischen Schriftzeichen verziert, die durch das Alter verwittert waren; wir verglichen sie mit der Schnitzerei in meinem kleinen Kästchen.
»Das Holz Ihres Kästchens ist leichter und billiger, aber es stammt aus derselben Gegend. Das fühle ich.« Mr. Ishida hielt mein Kästchen beinahe ehrfürchtig hoch. »Höchstwahrscheinlich hat jemand zwischen 1830 und 1870 diesen Namen eingraviert. Wahrscheinlich ein Kind.«
»Es könnte sie gewesen sein.« Ich stellte mir ein hübsches kleines Mädchen in einem handgearbeiteten Seidenkimono vor, den Kopf beim Schnitzen eifrig über das Kästchen gebeugt.
»Darf ich es ein paar Tage behalten?« Mr. Ishida unterbrach meine Tagträume. »Ich habe einen Kollegen im Nationalmuseum, der sich für die Aristokratie interessiert.«
»Natürlich«, murmelte ich, bevor ich mir überlegen konnte, ob das Miyo überhaupt recht gewesen wäre. Ich schloß die Augen, spürte wieder die unheimliche Verbindung. Nur war es diesmal nicht ein kleines Mädchen in einem feinen Kimono; ich selbst war es, in der ersten Klasse, als ich panisch wurde, weil ich nicht wußte, mit welcher Wachsmalkreide ich meine Hautfarbe malen sollte. Es war die kleine Setsuko, die in einem Pappkarton kauerte, und Mariko, die am Swimmingpool von den anderen zurückgewiesen wurde. Wir vier, japanisch shi, eine Zahl, die angeblich Unglück brachte, weil sie gesprochen und geschrieben wurde wie Tod.
21
Ich hätte beinahe vergessen, daß Montag der Recyclingmüll abgeholt wurde. Deshalb mußte ich noch einmal kehrtmachen, um die Tüte mit Flaschen und Dosen zu holen, nachdem ich bereits auf dem Weg nach unten gewesen war. In der Wohnung klingelte das Telefon. Ich rannte an Mariko vorbei, die sich noch tief in ihren
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