Die Tote im Götakanal
eine Menge Bücher.
Kafka: Und was geschah dann?
Mulvaney: Tjaa…
Kafka: Hatten Sie intimen Verkehr?
Mulvaney: Ja.
Kafka: Wann?
Mulvaney: So gut wie sofort.
Kafka: Wollen Sie so freundlich sein, so genau wie möglich darzulegen, was geschah.
Mulvaney: Sagen Sie mal, worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Soll das so eine Art von privatem Kinsey-Report sein?
Kafka: Tut mir leid. Ich muß Sie an das erinnern, was ich zu Beginn der Unterredung sagte. Dies kann wichtig sein.
Pause.
Wird es Ihnen schwer, sich zu erinnern?
Mulvaney: Nein, das ganz bestimmt nicht… aber es widerstrebt mir, hier zu sitzen und einen Menschen bloßzustellen, der nichts Böses getan hat und außerdem tot ist.
Kafka: Ich verstehe Ihre Gefühle. Aber bitte glauben Sie mir, daß Ihre Aussage von eminenter Wichtigkeit für uns ist.
Mulvaney: Na schön, also fragen Sie.
Kafka: Sie kamen also in die Wohnung hinein.
Was geschah dann?
Mulvaney: Sie zog die Schuhe aus.
Kafka: Und dann?
Mulvaney: Wir küßten uns.
Kafka: Weiter.
Mulvaney: Sie ging ins Schlafzimmer.
Kafka: Und Sie?
Mulvaney: Ich ging hinterher. Wollen Sie wirklich alle Einzelheiten?
Kafka: Ja.
Mulvaney: Na bitte… Sie zog sich aus und legte sich hin.
Kafka: Aufs Bett?
Mulvaney: Nein, ins Bett. Unter die Bettdecke.
Kafka: Sie hatte sich ganz ausgezogen?
Mulvaney: Ja.
Kafka: Machte sie einen schüchternen Eindruck?
Mulvaney: Keineswegs.
Kafka: Drehte sie das Licht aus?
Mulvaney: Nein.
Kafka: Und Sie?
Mulvaney: Was glauben Sie wohl?
Kafka: Dann hatten Sie also sexuellen Verkehr?
Mulvaney: Na hören Sie… was denn sonst? Vielleicht Nüsse geknackt? Verzeihen Sie, aber…
Kafka: Wie lange blieben Sie bei ihr?
Mulvaney: Warten Sie mal… so bis eins oder zwei, würde ich sagen.
Kafka: Dies war also Ihre erste Begegnung mit Miss McGraw?
Mulvaney: Ja.
Kafka: Was dachten Sie von ihr, als Sie weggingen? Und am Tag darauf?
Mulvaney: Ich dachte… zuerst dachte ich, sie wäre eine gewöhnliche, billige Schlampe, obwohl sie durchaus nicht den Eindruck gemacht hatte. Dann dachte ich, sie sei mannstoll. Das eine war ebenso falsch wie das andere. Jetzt, hier, besonders wo sie nun tot ist, ja, da wirkt es absurd, daß ich jemals so habe denken können.
Kafka: Hören Sie, mein Freund, ich versichere Ihnen, es ist für mich ebenso peinlich, diese Fragen zu stelle n, wie für Sie, sie zu beantworten. Ich hätte das auch niemals getan, wenn dahinter nicht eine bestimmte Absicht steckte. Leider sind wir noch nicht fertig, noch lange nicht.
Mulvaney: Schon gut… Sie müssen aber auch meine Lage verstehen. Da sitze ich nun hier in diesem Glaskäfig und erzähle Ihnen Sachen über Roseanna, die ich bisher noch keinem Menschen gegenüber erwähnt habe, während draußen lauter Polizisten umherrennen und das Tonbandgerät läuft und läuft, und der Sergeant neben mir sitzt und glotzt vor sich hin. Ich bin nicht gerade ein Zyniker, besonders nicht, wenn es sich um…
Kafka: Jack, laß mal die Vorhänge an der Glaswand herunter. Und dann kannst du draußen warten.
Mulvaney: Entschuldigen Sie bitte.
Kafka: Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.
Was geschah weiter zwischen Ihnen und Miss McGraw? Nach Ihrer ersten Begegnung?
Mulvaney: Ich rief sie zwei Tage später an. Sie hatte jedoch keine Lust, sich mit mir zu treffen; das sagte sie offen heraus; doch ich könnte wieder von mir hören lassen, wenn ich wolle. Als ich das nächste Mal anrief – nach etwa einer Woche - da bat sie mich, heraufzukommen.
Kafka: Und Sie…
Mulvaney: Ich ging hin und… na ja, die Dinge wiederholten sich. Manchmal einmal pro Woche, manchmal auch zweimal. Wir trafen uns immer in Roseannas Wohnung. Meistens am Sonnabend, dann blieben wir den ganzen Sonntag zusammen, wenn wir beide frei hatten.
Kafka: Wie lange dauerte Ihre Verbindung?
Mulvaney: Acht Monate.
Kafka: Warum trennten Sie sich?
Mulvaney: Weil ich mich in sie verliebte.
Kafka: Wie bitte?
Mulvaney: Das ist an sich eine ganz einfache Sache. Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte mich schon eine ganze Weile vorher in sie verliebt. Ich habe sie wirklich geliebt. Aber wir haben nie von Liebe gesprochen, und ich habe nichts gesagt.
Kafka: Warum nicht?
Mulvaney: Weil ich sie behalten wollte. Denn als ich es ihr sagte… ja, da war es dann sofort vorbei.
Kafka: Wie kam denn das?
Mulvaney: Das werden Sie wohl kaum verstehen, weil Sie Roseanna nicht gekannt haben. Roseanna war der anständigste Mensch, dem ich je begegnet bin.
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