Die Tote im Götakanal
etwas unternommen, sind aber nicht weitergekommen.«
»Können Sie sagen, wodurch die Verletzungen verursacht wurden?« erkundigte sich Martin Beck.
»Tja… genau natürlich nicht«, meinte der Arzt.
»Durch irgendeinen Gegenstand… vielleicht eine Flasche. Ist ihr denn etwas zugestoßen?«
»Nein, ich hätte mich nur gern einmal mit ihr unterhalten.«
»Das wird nicht leicht werden.«
»Kaum«, sagte Martin Beck. »Vielen Dank für Ihre Unterstützung Herr Doktor.«
Er steckte den Kugelschreiber ein, ohne eine einzige Notiz gemacht zu haben. Während er auf das Foto des Mannes mit der Mütze blickte, massierte er seinen Haaransatz mit den Fingerspitzen.
Seine Gedanken kreisten um die Frau aus Växjö… Nur Todesangst hatte sie dazu bringen können, die Wahrheit so hartnäckig zu verschweigen. Und jetzt war sie auch noch geflüchtet… Er starrte auf das Foto vor sich auf dem Tisch und murmelte:
»Warum nur?« Aber die Frage war müßig, denn es gab nur eine einzige Antwort darauf…
Das Telefon klingelte.
Es war noch einmal der Arzt.
»Ich vergaß, etwas zu erwähnen, was Sie vielleicht interessieren könnte. Die Patientin war ein Jahr früher schon einmal bei uns gewesen. Ende Dezember 1962. Ich hatte das vergessen, teils weil ich damals Urlaub hatte, teils weil sie auf einer anderen Station lag. Aber ich habe es im Krankenblatt gelesen, als ich sie später selbst behandelt habe.
Damals hatte sie zwei Finger gebrochen, den Zeigefinger und den Mittelfinger der linken Hand. Auch damals verweigerte sie jede Aussage. Man fragte sie, ob sie vielleicht eine Treppe hinuntergefallen war, und erst dann behauptete sie, daß es so passiert sei. Aber nach Ansicht meines Kollegen von der Chirurgie war das sehr unwahrscheinlich. Die Finger waren nach hinten gebrochen, aber darüber hinaus hatte sie keinerlei Verletzungen. Mehr weiß ich nicht. Sie wurde geschient, und die Heilung ging normal vonstatten.«
Martin Beck dankte und legte auf. Gleich darauf nahm er den Hörer wieder hoch und wählte die Nummer vom SHT. Er hörte Tellergeklapper und Lärm aus der Küche, dazu eine Stimme, die unmittelbar neben dem abgelegten Hörer nach drei Hackbraten verlangte. Es dauerte einige Minuten, bis Göta Isaksson an den Apparat kam.
»Es ist so laut hier«, rief sie. »Wo wir lagen, als sie krank wurde? Sicher weiß ich das noch. In Göeborg. Als wir morgens losfuhren, war sie nicht mehr da, und die Neue kam erst in Töreboda.«
»Wo haben Sie in Göteborg gewohnt?«
»Ich hab immer ein Zimmer im Pensionat der Heilsarmee genommen, in der Poststraße. Aber ich weiß nicht, wo sie gewohnt hat. Wahrscheinlich an Bord oder in einem anderen Hotel. Es tut mir leid, aber ich muß mich jetzt beeilen, die Gäste warten.«
Anschließend rief Martin Beck in Motala an.
Schweigend hörte Ahlberg ihm zu.
»Sie fuhr also direkt von Göteborg ins Krankenhaus nach Växjö«, sagte er schließlich. »Wir müssen feststellen, wo sie in der Nacht zwischen dem 8. und 9. August gewohnt hat. In der Nacht muß es ja passiert sein.«
»Es ging ihr verdammt schlecht, komisch, daß sie in dem Zustand noch nach Växjö gefahren ist.«
»Der Täter wohnte also vielleicht in Göteborg.
Dann ist es also bei ihm zu Hause geschehen.« Er schwieg einen Augenblick. »Herrgott, warum sagt sie uns bloß nicht den Namen? Sollen wir abwarten, bis er das dritte Mädchen ganz oder halb umbringt?«
»Sie hat Angst«, sagte Martin Beck. »Schlicht und einfach Todesangst. «
»Glaubst du, daß wir sie noch irgendwo zu fassen bekommen?«
»Bestimmt nicht. Sie wußte genau, was sie tat, als sie losfuhr; und wir wissen es auch. Für uns kann sie jahrelang außer Reichweite bleiben. «
»Und was tat sie?«
»Sie rannte um ihr Leben.«
22
Dicker Schneematsch auf Straßen und Hausdächern. Es tropft von den großen goldenen Julsternen, die quer über Regeringsgatan von Fassade zu Fassade gespannt sind. Sie haben dort schon vier Wochen gehangen, obwohl es noch fast einen Monat bis Weihnachten dauert. Auf dem Bürgersteig drängen sich die Menschen, und auf den Fahrbahnen rollt der Verkehr dicht und zäh, ab und zu gibt ein Fahrer Gas und drängt sich in eine Lücke der Autoschlange, dann spritzt der Matsch nach allen Seiten. Streifenpolizist Lundberg scheint der einzige zu sein, der es nicht eilig hat. Die Hände auf dem Rücken, geht er Regeringsgatan hinunter, an den weihnachtlich geschmückten Schaufenstern entlang. Das Schmelzwasser von den Dächern
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