Die Tote im Götakanal
ihm auch nicht, wie sich ihre Augen plötzlich schreckhaft weiteten. Nur für den Bruchteil; einer Sekunde, dann hatte sie sich gefangen, und als sie das Bild wieder zurückgab, war ihr Gesicht wieder streng und abweisend.
»Sie kennen den Mann wohl, nicht wahr?«
»Nein«, entgegnete sie, ohne die geringste Andeutung von Unsicherheit in der Stimme.
Sie ging quer durchs Zimmer und holte sich eine Zigarette aus der Glasschale, die auf dem Kacheltisch am Fenster stand. Sie zündete sie an und ließ sich gegenüber von Martin Beck auf dem Sofa nieder.
»Ich hab ihn nie gesehen. Weshalb fragen Sie?«
Sie wirkte jetzt völlig ruhig. Martin Beck sah sie eine Weile an, dann sagte er bestimmt: »Ich weiß aber, daß Sie ihn kennen. Sie haben ihn im vorigen Sommer auf der Diana getroffen.«
»Sie irren sich. Ich kenne den Mann nicht. Und jetzt müssen Sie gehen. Ich muß schlafen.«
»Warum lügen Sie?«
»Hören Sie… Unverschämtheiten brauch ich mir nicht bieten zu lassen. Gehen Sie jetzt, habe ich gesagt.«
»Fröken Larsson, warum geben Sie nicht zu, daß Sie wissen, wer er ist? Ich weiß, daß Sie nicht die Wahrheit sagen. Wenn Sie es jetzt nicht sagen, können Sie später ziemlichen Ärger bekommen.«
»Ich kenne ihn aber nicht.«
»Ich kann Zeugen beibringen, die Sie mehrfach mit diesem Mann zusammen gesehen haben. Es wäre besser für Sie, die Wahrheit zu sagen. Ich muß wissen, wer der Mann auf dem Bild ist. Seien Sie doch vernünftig.«
»Unmöglich. Sie müssen sich irren. Ich weiß nicht, wer er ist. Und jetzt lassen Sie mich bitte zufrieden.«
Martin Beck hatte die Frau während des ganzen Gesprächs beobachtet. Sie saß auf der äußersten Kante des Sofas, war nervös, sie drehte pausenlos die Zigarette zwischen den Fingern. Ihr Gesicht war gespannt, und er sah deutlich, wie sich die Backenknochen unter der Haut bewegten.
Sie hatte Angst.
Er blieb noch eine Weile auf dem geblümten Sessel sitzen und versuchte, sie zum Sprechen zu bewegen. Aber jetzt hatte sie sich ganz abgekapselt; steif und verstockt saß sie auf ihrem Sofa und spielte mit ihren Fingernägeln. Nach einer Weile stand sie auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Schließlich erhob er sich, nahm seinen Hut und verabschiedete sich. Sie antwortete nicht, blieb aufgerichtet und abweisend stehen und drehte ihm den Rücken zu.
»Ich lasse wieder von mir hören«, sagte er und legte seine Karte auf den Tisch.
Als er wieder in Stockholm eintraf, war es schon Abend. Er ging direkt zur U-Bahn und fuhr nach Hause.
Am nächsten Morgen rief er Göta Isaksson an und saß eine Stunde später in ihrer kleinen Zweizimmerwohnung auf Kungsholmen. Denn da ihre Schicht erst am Nachmittag begann, war er jederzeit willkommen. Sie schenkte zwei Tassen Kaffee ein und setzte sich zu ihm.
»Ich war gestern bei Ihrer Kollegin in Växjö«, begann Martin »Sie behauptete steif und fest, den Mann nicht zu kennen. Und sie schien Angst zu haben. Können Sie sich vorstellen warum?«
»Keine Ahnung. Dazu kenne ich sie nicht gut genug. Sie war ziemlich schweigsam. Wir haben zwar drei Sommer lang zusammengearbeitet, aber viel von sich erzählt hat sie nie.«
»Hat sie in der Zeit, als Sie mit ihr zusammen waren, über irgendwelche Männer geredet?«
»Eigentlich nur einmal. Ich erinnere mich, daß sie erzählte, sie hätte einen netten Mann auf dem Boot getroffen. Das muß in dem zweiten Sommer, als wir zusammen arbeiteten, gewesen sein.
Sie legte den Kopf schief und rechnete leise nach.
»Genau, im Sommer muß das gewesen sein.«
»Hat sie öfter von ihm gesprochen?«
»Sie erwähnte ihn manchmal. Das hörte sich so an, als ob sie ihn hin und wieder treffen würde. Er muß ein paarmal mitgefahren sein oder sie in Stockholm oder Göteborg kennengelernt haben.
Vielleicht war er Passagier. Vielleicht ist er auch ihretwegen mitgefahren. Was weiß ich?«
»Haben Sie ihn nie gesehen?«
»Nein. Ich habe überhaupt nie daran gedacht, erst jetzt, als sie danach fragten. Es kann ja der auf dem Bild gewesen sein, obwohl so schien, als ob sie den erst im vorletzten Sommer kennengelernt hatte.
Und da hat sie nie davon erzählt.«
»Was hat sie denn von dem aus dem ersten Sommer erzählt. Also 1961?«
»Tja, eigentlich nichts Besonderes. Daß er nett war. Ich glaube, sie sagte, daß er irgendwie was Besseres war. Ich nehme an, sie meinte damit, daß er manierlich und höflich und so war. Als ob gewöhnliche! Leute nicht fein genug für sie waren.
Aber
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