Die Tote im Götakanal
zehn-, zwölfmal vielleicht. Meistens verschiedene Strecken. Nur ein einziges Mal bin ich die ganze Reise von Stockholm bis Göteborg mitgefahren.«
»Als Deckspassagier?«
»Ja. Die Kabinen sind immer lange im voraus gebucht. Außerdem ist es billiger so.«
»Ist es ohne Kabine nicht sehr unbequem?«
»Ach, überhaupt nicht. Man kann unter Deck auf einem Sofa im Salon schlafen. Das geht sehr gut.«
»Na schön. Sie lernten also Roseanna McGraw kennen. Zwischen Berg und Ljungsbro sind Sie ausgestiegen. Haben Sie sie später noch mal wiedergesehen?«
»Ich glaube, ich habe so im Vorbeigehen noch mal mit ihr gesprochen. «
»Wann?«
»Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.«
»Haben Sie sie während des letzten Teils der Reise gesehen?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Wissen Sie, wo sie ihre Kabine hatte?«
Der Mann schwieg.
»Haben Sie meine Frage nicht gehört? Wo hatte sie ihre Kabine?«
»Ich überlege ja gerade… Nein, ich glaube nicht, daß sie das erwähnt hatte.«
»Sie sind also niemals in ihrer Kabine gewesen?«
»Natürlich nicht. Die Kabinen sind im übrigen schrecklich eng. Außerdem sind sie meistens mit zwei Personen belegt.«
»Immer?«
»Na ja, einige reisen vielleicht allein. Aber nicht viele, das wird doch recht teuer.«
»Wissen Sie, ob Roseanna McGraw eine Einzelkabine hatte?«
»Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Sie hat nichts davon erwähnt, soweit ich mich erinnere.«
»Und Sie sind nie mit ihr in der Kabine gewesen?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Erinnern Sie sich noch, worüber Sie sich mit ihr unterhielten, während Sie an Land waren?«
»Ich glaube, ich hab sie gefragt, ob sie die Kirche in Vreta Kloster sehen wollte; die liegt sehr hübsch.
Aber sie hatte keine Lust. Vielleicht hat sie meine Frage auch nicht verstanden.«
»Und sonst? Worüber sprachen Sie sonst noch?«
»Wie soll ich das nach so langer Zeit noch wissen? Viel war es bestimmt nicht. Wir gingen dieses Stück am Kanal entlang, zusammen mit einem Haufen anderer Passagiere.«
»Haben Sie bemerkt, ob sie sich mit anderen Leuten unterhalten hat?«
Der Mann sah ausdruckslos aus dem Fenster.
»Das ist eine äußerst wichtige Frage.«
»Ich verstehe. Ich denke ja auch nach. Doch, sie sprach mit ein paar Leuten, während ich dabeistand. Mit Engländern oder Amerikanern. Ich erinnere mich aber an keinen besonderen.«
Martin Beck stand auf und griff nach der Wasserkaraffe. »Wollen Sie etwas trinken?«
»Nein, danke, ich bin nicht durstig.«
Martin Beck goß sich einen Becher ein, trank und kam zurück. Er drückte auf einen Klingelknopf unter der Tischplatte, stellte den Apparat ab und spulte das Band zurück.
Nach einer Minute erschien Melander und ging an seinen Tisch.
»Hier, nimm das und leg es zu den Akten.«
Melander nahm das Band und verließ den Raum wieder.
Der Mann, der Folke Bengtsson hieß, saß steif auf seinem Stuhl und sah Martin Beck mit ausdruckslosen blauen Augen an.
»Sie sind, wie gesagt, der einzige uns bekannte Zeuge, der mit der Toten gesprochen hat.«
»Ja…«
»Sie haben sie nicht zufällig ermordet?«
»Nein, das habe ich nicht. Glauben Sie das denn?«
»Irgend jemand hat es getan.«
»Ich wußte nicht einmal, daß sie tot ist. Und nicht, wie sie hieß. Sie glauben doch wohl nicht, daß ich…«
»Wenn ich erwartet hätte, daß Sie es zugeben würden, hätte ich die Frage nicht in diesem Ton gestellt«, entgegnete Martin Beck.
»Ach so… Das war also ein Scherz?«
»Nein.«
Der Mann sagte kein Wort.
»Wenn ich Ihnen nun sagen würde, wir wissen mit Sicherheit, daß Sie sich in der Kabine der Frau aufgehalten haben – was würden Sie dann antworten?«
Der Mann überlegte etwa zehn Sekunden. »Daß Sie sich irren müssen. Aber Sie würden das ja nicht sagen, wenn Sie es nicht sicher wüßten. Oder?«
Martin Beck antwortete nicht.
»Und dann müßte ich also da drin gewesen sein, ohne daß ich selbst wußte, was ich tat.«
»Wissen Sie immer, was Sie tun?«
Der Mann hob die Augenbrauen ein wenig.
»Ja, das pflegt der Fall zu sein«, antwortete er.
Dann mit fester Stimme:
»Ich war nicht da drin.«
»Sie verstehen, daß dieser Fall höchst verwirrend ist«, erklärte Martin Beck. Gott sei Dank ist das alles nicht mit auf dem Band, dachte er.
»Ich verstehe.«
Martin Beck seufzte, knickte das Mundstück seiner Florida zusammen und steckte sie an. »Sie sind nicht verheiratet?«
»Nein.«
»Haben Sie, was man eine feste Freundin
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