Die Tote im Götakanal
zwar reichlich unorthodox, aber…«
»Das ist schon viele Male praktiziert worden, auch hier in Schweden. Was ich dir jetzt vorzuschlagen habe, ist noch viel unorthodoxer. «
»Das hört sich ja gut an.«
»Ich möchte, daß du eine Nachricht an die Presse gibst. Der Mord stehe kurz vor seiner Aufklärung.«
»Jetzt?«
»Ja, sofort. Heute noch. Etwa folgenden Inhalts: In Zusammenarbeit mit Interpol ist es heute der amerikanischen Polizei gelungen, einen Mann zu verhaften, der im Zusammenhang mit dem Mord an Roseanna McGraw gesucht wird. So in der Art, verstehst du?«
»Und wir haben die ganze Zeit gewußt, daß sich der Schuldige nicht in Schweden aufgehalten hat.«
»Ja, so zum Beispiel. Hauptsache es geht schnell.«
»Ich verstehe.«
»Und dann setz dich in den Zug und komm her.«
»Sofort?«
»So schnell du kannst.«
Ein Bote kam ins Zimmer. Martin Beck klemmte den Hörer mit der linken Schulter fest und riß das Telegramm auf. Es war von Kafka.
»Was schreibt er?« erkundigte sich Ahlberg.
»Nur einen Satz: Warum stellt ihr dem Kerl keine Falle?«
26
Sonja Hansson, Angehörige des weiblichen Polizeikorps im Rang eines Ersten Polizeikonstablers, sah Roseanna McGraw tatsächlich etwas ähnlich.
Kollberg hatte recht gehabt.
Sie saß in Martin Becks Besuchersessel, die Hände über dem Knie gefaltet, und blickte ihn mit ruhigen grauen Augen an. Sie hatte lockiges dunkles Haar, das ihr leicht über die linke Braue fiel, und ein frisches, offenes Gesicht. Make-up schien sie nicht anzuwenden. Sie sah wie zwanzig aus, aber Martin Beck wußte, daß sie fünfundzwanzig Jahre alt war.
»Als erstes möchte ich betonen, daß es sich hier nicht um einen dienstlichen Befehl handelt«, begann Martin Beck. »Ich werde dir jetzt erklären, um was es sich handelt, dann kannst du dich entscheiden. Es steht dir frei, die Sache abzulehnen.«
Das Mädchen im Sessel strich sich die Locken aus der Stirn und sah ihn fragend an.
»Wir sind auf dich verfallen, weil du durch dein Aussehen die besten Voraussetzungen mitbringst«, fuhr Martin Beck fort. »Du wohnst in der Innenstadt, bist nicht verheiratet und wohnst auch nicht – wie man so schön sagt – mit jemandem zusammen.
Das stimmt alles so weit, oder?«
Sonja Hansson nickte. »Ich möchte schon helfen«, sagte sie. »Aber was hat das mit meinem Aussehen zu tun?«
»Entsinnst du dich an Roseanna McGraw, die Amerikanerin, die im Sommer auf dem Götakanal ermordet wurde?«
»Natürlich. Ich hab damals sämtliche Karteikarten von allen vermißten Mädchen durchgehen müssen…«
»Wir kennen den Täter, das heißt, wir glauben ihn zu kennen. Er befindet sich hier in der Stadt. Bei der Vernehmung hat er zugegeben, auf dem Schiff gewesen zu sein und auch mit ihr gesprochen zu haben. Mehr nicht. Er will nicht mal etwas von dem Mord gewußt haben.«
»Etwas unwahrscheinlich, wo soviel darüber geschrieben wurde.«
»Er behauptet, er lese keine Zeitungen… Jedenfalls kommen wir mit ihm nicht weiter; er wirkt völlig natürlich und gelassen und hat auf alles ein plausible Antwort. Wir konnten ihn also nicht festhalten; eine Zeitlang haben wir ihn beschattet, aber auch das haben wir aufgegeben. Unsere einzige Chance ist, daß er die Tat wiederholt. Und das ist der Punkt, wo wir dich einsetzen wollen. Natürlich nur, wenn du einverstanden bist und glaubst, dir eine solche Aufgabe zutrauen zu können. Du sollst sein nächstes Opfer werden.«
»Reizende Aussichten«, lächelte Sonja Hansson und holte sich eine Zigarette aus ihrer Jackentasche.
»Du siehst Roseanna McGraw etwas ähnlich, und darum wollen wir dich sozusagen als Lockvogel benutzen. Wir haben uns das folgendermaßen vorgestellt: Er arbeitet bei einer Speditionsfirma in Smälandsgatan. Du gehst hin und bestellst einen Transport. Flirtest mit ihm und siehst zu, daß er deine Adresse und Telefonnummer bekommt. Du mußt dafür sorgen, daß er sich für dich interessiert. Alles Weitere wäre dann abzuwarten.«
»Aber wenn ihr ihn zur Vernehmung hiergehabt habt, wird er doch doppelt vorsichtig sein.«
»Wir haben eine Nachricht herausgebracht, die ihn beruhigen muß.«
»Ich soll ihn also einfangen. Verflixt noch mal, und wenn es mir gelingt?«
»Angst brauchst du nicht zu haben; wir sind immer in der Nähe. Aber zunächst mußt du dich mit dem Fall vertraut machen. Das ist wichtig. Du mußt alles über Roseanna McGraw wissen, damit du sozusagen in ihre Haut schlüpfen kannst.«
»In der Schule hab ich
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