Die Tote im Keller - Roman
nach der Morgenbesprechung begab sich Irene ins Büro von Linda Holm. Die Kommissarin des Dezernats für Menschenhandel war tief in etwas auf ihrem Monitor versunken und merkte erst nicht, dass Irene bei ihr eingetreten war. Irene klopfte leise auf den Türrahmen. Als Linda sie in der Tür sah, hellte sich ihre Miene auf und sie bedeutete ihr einzutreten.
»Hallo. Das war wirklich ein seltsamer Verlauf der Dinge am Freitag. Sowohl Heinz Becker als auch sein Kumpan sind tot. Und das Mädchen immer noch nicht bei Bewusstsein. Das Krankenhaus in Varberg hat mir versprochen anzurufen, sobald sie aufwacht.«
Sie schüttelte ihre blonde Mähne und vollführte einige der Kopfbewegungen, die Spannungen im Nackenbereich lösen sollen. Irene nahm gar nicht erst Platz, sie hatte es eilig. Rasch informierte sie sie, was sich bei dem Verhör des Indianers ergeben hatte. Linda Holm hörte ihr aufmerksam zu.
»Interessant. Russin. Das kann gut sein. Es gibt viele Russen in Estland. Möglicherweise sprach sie beide Sprachen. Viele Kinder und Jugendliche verschwinden aus den Slums in Russland und dem Baltikum. Und nicht zuletzt aus den Kinderheimen. Oft ist das Personal in den Handel verwickelt. Es ist fast unmöglich festzustellen, wer diese Kinder sind, wenn sie es nicht selbst preisgeben. Das kann die kleine Russin nun nicht mehr.«
»Wir sind hinsichtlich ihrer Identität immer noch nicht viel klüger geworden«, meinte Irene.
Es fiel ihr schwer, ihre Enttäuschung zu verbergen.
»Vielleicht kann uns ja das bewusstlose Mädchen weiterhelfen, sobald sie aufwacht«, fügte sie hinzu.
»Vielleicht. Heinz Becker hat die Mädchen hierhergebracht, ich bin sicher, dass er sie in ihren Pässen ein paar Jahre älter gemacht und ihnen ganz sicher falsche Namen gegeben hat.«
»Sven Andersson hat die Polizei in Varberg gebeten, alle Papiere und Pässe hierherzuschicken, die eventuell in dem Autowrack gefunden werden. Ich werde dafür sorgen, dass du sofort Kopien erhältst.«
Als sie sich zum Gehen wandte, fiel Irene noch etwas ein.
»Der Indianer behauptet, Heinz Becker habe ihm erzählt, die kleine Russin und Sergej seien bereits nach Teneriffa gefahren. Sagt dir der Name Sergej etwas?«, fragte sie.
Linda Holm dachte eine Weile nach und antwortete dann:
»Sergej ist ein sehr häufiger russischer Name. Aber das Stichwort Teneriffa hilft uns vielleicht weiter. Ich werde dem nachgehen. «
»Teneriffa … glaubst du wirklich, dass sie nach Teneriffa weiterreisen sollten?«, fragte Irene.
»Sehr gut möglich. Wo Geld ist, gibt es auch Prostitution. Die Kunden bestimmen das Angebot. Wo sich die Kunden aufhalten, da gibt es auch Sexhandel.«
»Ja, aber … Teneriffa ist doch ein Ziel für Pauschalurlauber. Familien mit Kindern …«
»Klar. Aber das ist das Bild, das einem die Reiseveranstalter
vermitteln. Tatsache ist, dass gerade auf den Kanarischen Inseln die Sexindustrie boomt. Sowohl legal als auch mehr im Verborgenen. Die Ostmafia wird auf den Inseln immer stärker. Sie beschaffen alles, was sich die Kunden wünschen. Wie gesagt, die Nachfrage bestimmt das Angebot. Und der, der zahlt, bekommt alles. Und ich meine, wirklich alles.«
Irene sah Linda Holm an und wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Linda war nach den vielen Jahren, in denen sie mit Menschenhandel beschäftigt war, sicher zynisch und mit allen Wassern gewaschen. Aber sie wusste sehr gut, wovon sie sprach.
Irene dankte für die Hilfe und ging zur Tür. Als sie noch einmal zurückschaute, war Linda Holm bereits wieder tief in ihren Computer versunken.
»Varberg hat angerufen. Sie haben in dem Autowrack drei Pässe gefunden. Einer ist auf Heinz Becker ausgestellt. Alle Angaben stimmen mit den Informationen, die uns bereits vorliegen, überein. Offenbar reiste er mit seinem echten Pass. Der andere Typ heißt laut Pass Andres Tamm. Este, zweiundvierzig Jahre alt. Der dritte Pass ist auch estnisch und auf eine Leili Tamm ausgestellt. Sie ist laut Pass achtzehn. Wahrscheinlich sollte es so aussehen, als seien sie Vater und Tochter. Ich habe die Kollegen in Varberg gebeten, uns alle Papiere zu schicken, die sie gefunden haben«, teilte Andersson mit.
Er ging im Zimmer auf und ab und rieb sich zufrieden die Hände.
»Ich rede mit Linda Holm. Sie soll uns dabei helfen herauszufinden, ob dieser Sergej wirklich existiert. Sie hätte deswegen gerne Kopien der Papiere und Pässe, wenn sie hier eintreffen«, sagte Irene.
»Klar. Sie bekommt ihre Kopien,
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