Die Tote im Keller - Roman
und schrieb. Sie arbeitete für eine polnische Firma und stieg nach ein paar Jahren zur Chefin der Vertretung in Schweden auf. Wir zogen nach Stockholm um. Dort lernte sie wieder einen schwedischen Mann kennen und heiratete ein zweites Mal. Ich habe eine Halbschwester, die sechzehn ist. Meine Mutter ist immer noch verheiratet und wohnt auch noch in Stockholm. Aber die ersten Jahre in Schweden hatte sie Angst. Ich verstand das damals nicht. Das ist mir erst später aufgegangen. Sie hatte Angst, dass Torleif wieder zu uns Kontakt aufnehmen könnte. Dass er Streit anfangen würde, was er dann schließlich auch tat.«
Zu Irenes Erstaunen begann er zu lachen, dann wurde er rasch wieder ernst.
»Wenn ich jetzt daran denke, ist es komisch, aber damals war es das nicht. Irgendwie fand er raus, dass Mama und ich wieder nach Schweden gezogen waren, und brachte unsere Telefonnummer in Erfahrung. Wahrscheinlich machte er sich zunutze, dass er Polizist war. Sie wissen vermutlich besser als ich, wie man Adressen von Leuten rauskriegt.«
Irene nickte, erwiderte aber nichts. Sie wollte, dass er weitererzählte.
»Er verlangte, mich treffen zu dürfen. Er behauptete, er habe Besuchsrecht. Aber Mama war nicht mehr die kleine, verschüchterte Polin, derer er sich erbarmt hatte, wie er das selbst ausdrückte. Sie fuhr ihre Krallen aus und sagte, er könne dann erst einmal den Unterhalt für mehrere Jahre nachzahlen, was ihm erspart geblieben sei, und wünschte ihn zum Teufel. Sie gerieten richtig aneinander. Das ging dann so lange, bis ich selbst verlangte, Torleif zu treffen. Ich war fünfzehn und glaubte immer noch, er sei mein richtiger Vater. Vermutlich sehnte ich mich nach einem Vater. Ich hatte schließlich nie ein richtiges männliches Vorbild gehabt. Mamas neuer Mann war eigentlich immer sehr okay gewesen. Aber trotzdem … alle Kinder idealisieren vermutlich den Elternteil, mit dem sie keinen Umgang pflegen. Und wenn wir den erst einmal kennenlernen, dann wird alles ganz wunderbar …«
Er lächelte und hob vielsagend die Brauen.
»Da Sie wissen, wie die Geschichte ausgeht, können Sie sich sicher auch vorstellen, was passierte. Allein und voller Erwartung fuhr ich von Stockholm nach Göteborg. Es war Anfang Juli, und ich träumte die ganze Zeit davon, was für einen Spaß wir zusammen haben würden. Mein Papa und ich. Wir würden den Vergnügungspark Liseberg besuchen, Hamburger essen, im Meer baden gehen. An diesem Wochenende spielte eine englische Mannschaft im Ullevi-Stadion gegen den IFK Göteborg. Ich hoffte, er hätte Karten für das Spiel gekauft, denn ich hatte ein paar Tage vor meiner Abreise mit ihm darüber gesprochen. Schließlich hatte ich mir eingeredet, er habe sie tatsächlich besorgt. «
Er hielt einen Augenblick inne, und Irene glaubte zu erkennen, dass seine Augen glänzten. Aber nicht vor Freude. Das hörte sie an seiner Stimme, als er fortfuhr:
»Er holte mich vom Bahnhof ab. Keine Umarmung bei der Begrüßung, nur ein formelles Händeschütteln. Dann fuhren wir zu seiner Wohnung. Dort gab er mir irgendwelche Linsenbrätlinge zu essen. Ich hätte fast gekotzt. Ich muss wohl nicht dazusagen, dass nichts aus Liseberg und dem Fußballspiel wurde? Wir gingen zum Badeplatz am Delsjö schwimmen, das war alles. Ich erinnere mich, dass es dort recht schön war und dass ich drei Bockwürste bei einem alten Mann mit einem Wägelchen kaufte. Heimlich, als Torleif im Wasser war. Glücklicherweise hatte mir meine Mutter Geld mitgegeben. Sie kannte Torleif schließlich und ahnte vermutlich, wie der Besuch verlaufen würde.«
Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort: »Als ich wieder in Stockholm war, versuchte ich den Schein zu wahren und sagte, es sei mit Papa sehr nett gewesen. Aber Mama durchschaute mich natürlich und erzählte mir die Wahrheit. Sie zeigte mir die Adoptionsunterlagen. Dort steht ›Vater unbekannt‹. Sie hat nie erzählt, wer mein richtiger Vater ist. Das wissen nur sie und ich. Noch heute sagt sie, dass sie es bereut, dass sie mich diesem Treffen mit Torleif ausgesetzt hat. Dass sie es mir nicht erzählt hat, bevor ich nach Göteborg gefahren bin. Aber Tatsache ist, dass ich erleichtert war, als ich die Wahrheit erfuhr. Und dass ich ihn nie mehr treffen musste, wenn ich nicht wollte! Und ich wollte nicht.«
Letzteres sagte er mit sehr viel Nachdruck.
»Haben Sie ihn nie mehr gesehen?«, fragte Irene.
»Doch. Einmal. Als ich zu einem Bruce-Springsteen-Konzert nach Göteborg
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