Die Tote im Keller - Roman
kam. Meine Freundin, meine jetzige Frau, kam aus Malmö, wir wollten uns auf dem Hauptbahnhof treffen. Ich hatte noch ein paar Stunden Zeit und überlegte mir, dass ich Torleif anrufen könnte. Wir gingen Kaffee trinken. Als Allererstes sagte ich ihm, dass ich die Wahrheit wüsste, dass er nicht mein Vater sei. Das schien ihm egal zu sein. Ich glaube, dass wir
beide das Gefühl hatten, dass wir uns nichts zu sagen hatten. Dann rief er noch ab und zu an. Das letzte Mal kurz vor Weihnachten vor zwei Jahren. Und diese Unterhaltung war wie gesagt nicht sonderlich geglückt.«
Stefan Sandberg lehnte sich zurück, atmete tief durch und richtete seinen Bernsteinblick auf Irene.
»Ich weiß, dass ich das alles nicht vor Ihnen ausbreiten muss, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass es für Sie wichtig sein könnte. Vielleicht ist es auch einfach wichtig für mich, darüber zu reden. Vielleicht hätte ich mich einem Therapeuten anvertrauen sollen, ehe ich selbst Vater wurde. Aber das hier ist viel billiger.«
Er lächelte, um ihr zu bedeuten, dass dies ein Witz war. Aber seine Augen verrieten die Wahrheit. In ihnen ließ sich der kleine Junge erkennen, dem es in seiner Kindheit sehr schlecht ergangen war. Trotzdem war er seinen Weg gegangen und hatte mit seiner Familie eine Zukunft. Irene hatte in ihrem Beruf oft mit vom Schicksal benachteiligten Kindern zu tun.
»Ich danke Ihnen sehr für Ihr Vertrauen. Ich kannte Torleif dem Namen nach, als er noch im dritten Distrikt arbeitete, habe ihn aber nie persönlich kennengelernt. Wahrscheinlich war der Altersunterschied daran schuld«, meinte Irene und erwiderte sein Lächeln.
Er nickte, sagte aber nichts.
»Wie lange bleiben Sie?«, fragte Irene, um das Schweigen zu brechen.
»Bis Donnerstag. Heute Vormittag habe ich bei einem Beerdigungsinstitut das Begräbnis bestellt. Jetzt muss ich mich um den Nachlass kümmern und die Wohnung auflösen. Die praktischen Dinge, die nach einem Todesfall anstehen. Die Beerdigung ist in drei Wochen, dann komme ich wieder nach Göteborg.«
»Ich werde das Auto als gestohlen melden. Das Kennzeichen suche ich im Kraftfahrzeugregister.«
Beide erhoben sich gleichzeitig und verabschiedeten sich mit einem Händedruck. Irene gab ihm ihre Visitenkarte für den Fall, dass er sich mit ihr in Verbindung setzen wollte.
»Verdammt seltsam«, lautete der Kommentar des Kommissars, nachdem ihm Irene kurzgefasst das Gespräch mit Stefan Sandberg erzählt hatte.
»Du wusstest also nicht, dass Torleif nicht der Vater des Jungen ist«, stellte Irene fest.
Andersson schüttelte den Kopf.
»Nein. Er hat sogar noch damit angegeben, sie noch vor der Hochzeit geschwängert zu haben. Er habe sie heiraten müssen, sagte er. Nach der Scheidung jammerte er, sie sei nach Polen abgehauen und er könne deswegen seinen Sohn nicht treffen. Ich erinnere mich, dass ich zu ihm sagte, er solle halt hinfahren und seinen Sohn besuchen. Warschau liege schließlich nicht am Ende der Welt. Aber da klagte er darüber, wie teuer die Reise sei. Er war wirklich manchmal ein richtiger Meckerfritze. Man soll zwar nichts Böses über Tote sagen, aber das war er. Das war auch der Grund dafür, warum wir immer weniger Kontakt hatten …«
Andersson beendete den Satz nicht. Er starrte geistesabwesend aus dem Fenster. Die Dunkelheit wurde von den Lichtern der Stadt nur notdürftig erhellt. Der Wetterbericht sagte zwar mildere Temperaturen voraus, aber auch von noch mehr Schnee oder Regen war die Rede gewesen. Irene mochte den reinen, weißen Schnee, aber in der Stadt wurde er rasch schmutzig und schwarz. Und wenn es jetzt auch noch regnete, würde sich der Schnee erst recht in schwarzen Matsch verwandeln.
Andersson sah Irene müde an.
»Was hältst du von dieser Sache mit dem Autodiebstahl?«, fragte er.
»Wahrscheinlich hat irgendein Autodieb den Parkplatz beobachtet und bemerkt, dass der Wagen nicht benutzt wurde. Er war schließlich relativ neu.«
Der Kommissar nickte, schien ihr aber gar nicht richtig zugehört zu haben. Er wirkte geistesabwesend. Was war los mit ihm? Als hätte er bemerkt, dass sie sich diese Frage stellte, sagte er:
»Morgen komme ich später. Nach zehn. Ich muss zu einem Check-up.«
Sein abweisender Tonfall hielt sie davon ab, Fragen zu stellen. Irene empfand eine berechtigte Unruhe. Ihr Chef hatte nicht gerade die beste Gesundheit. Er war übergewichtig, litt an Asthma, Bluthochdruck und chronischer Angina Pectoris. Hatte sich sein Zustand
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