Die Tote im Keller - Roman
wie man ihn zu einer Pizza bekommt. Ihre letzte Mahlzeit aß sie mindestens sechs Stunden vor ihrem Tod. Wahrscheinlich war sie schon zu krank und entkräftet, um zu essen und zu trinken.«
Tommy war damit am Ende des Obduktionsberichts angekommen und legte die Papiere vor sich auf den Tisch.
»Aber offenbar war sie nicht zu krank, um missbraucht zu werden. Bis zuletzt sollte sie zu Diensten stehen!«
Irene konnte die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht verbergen.
»Es war doch der Mörder, der…«, begann Tommy. Irene fiel ihm sofort ins Wort.
»Ja, er zwang ein todkrankes Mädchen zu sexuellen Handlungen. Wahrscheinlich versuchte sie sich noch zu wehren, worauf die Hautreste unter ihren Fingernägeln hindeuten. Er spritzte sein Sperma in ihr Haar. Und wahrscheinlich erdrosselte er sie in diesem Moment!«
Sie merkte, wie finster sie die Männer in der Runde betrachtete. Zornesröte brannte auf ihren Wangen.
»Mal langsam. Keiner von uns hat das Mädchen ermordet«, meinte Jonny spitz.
Irene spürte, dass ihr Herz schneller schlug, aber sie versuchte, ihre Wut zu beherrschen. Gleichzeitig erinnerte sie sich an Linda Holms Worte: »Die meisten Käufer sind gut situierte Männer mit Familie.«
Es konnte jeder sein. Auch einer ihrer Kollegen. Sie gab sich einen Ruck und versuchte die düsteren Gedanken abzuschütteln, aber es gelang ihr nicht. Plötzlich sagte sie:
»Das ist genau das, was mich so … wütend macht. Die schwedischen Männer wissen, dass diese Mädchen Sklavinnen sind. Sie wissen, dass sie unter widerwärtigen Umständen leben. Trotzdem unterstützen sie diese Sklaverei, indem sie Sex kaufen. Ich verstehe das nicht! Könnt ihr mir das mal erklären?«
Am Tisch wurde es still. Vier Paar Augen sahen sie verständnislos an. Schließlich brach der Kommissar das Schweigen.
»Du gehörst also zu diesen Feministinnen, die herumlaufen und alle Männer als Tiere bezeichnen«, sagte er ärgerlich.
»Ganz und gar nicht. Ich kann nur nicht begreifen, wie man Sex mit einem Menschen haben kann, von dem man weiß, dass er zur Sklaverei gezwungen wird«, konterte Irene.
Tommy antwortete als Erster.
»Ich verstehe, was du meinst. Wenn man daran denkt, wie schäbig die Räume waren, in denen sich die Mädchen aufhalten
mussten, dann ist unbegreiflich, dass diese Männer überhaupt einen hochkriegen. Der Gestank und der ganze Müll … nein, das ist unbegreiflich.«
»Aber es gibt immer noch genug Männer, die so etwas tun«, beharrte Irene.
Fredrik sah aus, als würde er ernsthaft über Irenes Frage nachdenken.
»Diese Zwangsprostituierten sind oft billiger als normale Prostituierte«, sagte er schließlich.
»Der Grund wäre also rein finanzieller Natur? Das glaube ich nicht…«, begann Irene, wurde aber von Jonny unterbrochen.
»Verdammt! Der Durchschnittsfreier ist ein Typ, der alleine in einem Hotelzimmer sitzt und plötzlich Lust auf eine Nummer bekommt. Oder er ist zu Hause und gerade Strohwitwer. Was macht er? Er greift zu seinem Laptop und geht online. Checkt ab, was es für Bräute gibt. Und dann ruft er an. Mit etwas Glück kommt er zu seiner Nummer, das Mädchen bekommt das Geld und weiter nichts! Ist doch nichts dabei!«
»Und wenn einer der Freier jetzt vor ein paar Wochen Kontakt mit der kleinen Russin hatte und kein Kondom benutzt hat? Dann hat er seine Frau oder Freundin inzwischen mit resistenter Gonorrhö angesteckt. Oder mit Aids.«
»Verdammt, was glaubst du, was man sonst von solchen Frauen kriegt?«, sagte Jonny grinsend.
»Können wir jetzt endlich auf dieses dumme Gerede verzichten und unsere Arbeit erledigen?«, platzte es aus Andersson raus.
Den anderen war die zunehmende Ungeduld ihres Chefs gar nicht aufgefallen, verblüfftes Schweigen war die Folge.
»Dieses verdammte Geschwätz ist für die Ermittlung vollkommen bedeutungslos«, fügte der Kommissar mit Nachdruck hinzu.
Er atmete einige Male tief durch, um seinen Blutdruck zu normalisieren. Das hatte er vor einigen Jahren bei einem Krisenmanagementkurs für Führungskräfte gelernt, und das war
so ziemlich das Einzige, was er davon noch ab und zu anwandte.
Irene sah ein, dass es sich nicht lohnte, die Diskussion weiterzuführen. Sie konnte immer noch nicht begreifen, wie in ihrer aufgeklärten Gesellschaft Sklaverei geduldet werden konnte.
Es klopfte, und Kommissarin Linda Holm öffnete die Tür. Sie blieb kurz auf der Schwelle stehen, als sie die gespannte Atmosphäre bemerkte, trat dann aber unbekümmert in den
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