Die Tote im Keller - Roman
keinen Tag älter als vierzehn. Vielleicht lag das an der kindlichen Rundung ihrer Wangen oder den trotzig vorgeschobenen Lippen. Irene stutzte, als sie sich die Augen des Mädchens näher ansah. Dieser leere Blick passte nicht zu einem Teenager, sondern eher zu einer sehr alten Frau. Oder stand sie unter starken Drogen? Das war durchaus möglich. Auf dem Foto trug sie ein sehr stark ausgeschnittenes T-Shirt und um den Hals eine dünne Halskette mit einem kleinen Anhänger. Irene erkannte die kleine Plastikblume wieder. Derselbe Kaugummiautomatenschmuck, den sie bei der kleinen Russin gefunden hatten.
Irene rief bei der Polizei in Varberg an, und es gelang ihr, den Kollegen an den Apparat zu bekommen, der sich mit dem Autounfall befasst hatte. Nach ein paar einleitenden Höflichkeiten fragte Irene:
»Wissen Sie, ob die Männer Drogen genommen hatten?«
»Noch nicht, aber Blutproben sind im Labor. Mit dem Resultat rechnen wir aber frühestens Ende der Woche.«
»Wissen Sie, ob man auch das Mädchen auf Drogen getestet hat?«
»Nein, da müssen Sie im Krankenhaus nachfragen. Glauben Sie, dass Drogen im Spiel sind?«
»Ja. Wir haben einiges in ihrem Unterschlupf gefunden«, antwortete Irene ausweichend.
Natürlich wusste die Varberger Polizei über die missglückte Razzia Bescheid und auch, dass es um Menschenhandel ging.
»Ja, ja, so ist es immer. Haben sie in einer Sache Dreck am Stecken, so kann man Gift darauf nehmen, dass sie auch noch in andere Schweinereien verwickelt sind. Das gibt dann immer verdammt unübersichtliche Fälle!«
Ganz Ihrer Meinung, dachte Irene, behielt dies aber für sich. Stattdessen dankte sie dem Kollegen und legte auf.
Ihr nächster Anruf galt der Intensivstation des Varberger Krankenhauses. Irene bekam einen gehetzten Arzt an den Apparat, der darum bat, zurückrufen zu dürfen. Ihr war klar, dass er erst einige Datenschutzfragen zu klären hatte. Trotzdem ärgerte sie sich, dass sie auf den Rückruf fast zehn Minuten warten musste. Er entschuldigte sich damit, dass er erst seinen Oberarzt habe fragen müssen, was er der Polizei erzählen dürfe.
»Wie Sie wissen, haben wir ihre Identität noch nicht klären können. Das gilt auch für den Mann, der laut Pass ihr Vater sein soll. Der dritte Tote ist ein berüchtigter Menschenhändler. Er machte junge Frauen zu Sexsklavinnen«, begann Irene.
»Aha«, erwiderte der Arzt abwartend.
»Wir haben den Verdacht, dass das Mädchen nicht Leili heißt und dass es sich bei ihr um eine Zwangsprostituierte handelt.«
»Ich verstehe.«
»Wir haben Drogen in der Wohnung gefunden, in der die Männer Leili gefangen hielten. Ich würde jetzt gerne wissen, ob Sie das Mädchen auf Drogen getestet haben?«
Am anderen Ende blieb es lange still, dann antwortete der Arzt:
»Haben wir. Sie wies mehrere frische Einstichwunden auf. Wir konnten sowohl Heroin als auch Amphetamin nachweisen. Wahrscheinlich hat sie beide Drogen intravenös bekommen. Sie hat Amphetamin offensichtlich jedoch auch in Tablettenform zu sich genommen. In der Tasche ihrer Jeans waren Tabletten.«
»Wie geht es ihr?«
»Ihr Zustand ist unverändert. Sie hat viele schwere Frakturen, aber am bedenklichsten sind ihre Schädelverletzungen. Sie liegt im Koma. Wenn man sie umdreht, reagiert sie nicht, was aber auch an den Schmerzmitteln liegen könnte. Es ist schwierig, diese Mittel bei Drogensüchtigen richtig zu dosieren.«
»Wie lange, glauben Sie, ist sie schon süchtig?«
»Erst seit ein paar Monaten. Sie hat immer noch eine stabile Gesundheit und ist nicht sonderlich abgemagert.«
»Für wie alt halten Sie sie?«
»Tja … gestern hieß es, dass sie laut Pass achtzehn sei. Aber wir haben sie alle für jünger gehalten. Und jetzt sagen Sie, dass der Pass möglicherweise gefälscht ist… tja, ich glaube, sie ist nicht älter als fünfzehn.«
Die Einschätzung des Arztes deckte sich mit der Irenes. Wenn der Name des Mädchens nicht Leili Tamm lautete und sie vielleicht nicht einmal Estin war, wer war sie dann? Und wer war der Mann, der sich als ihr Vater ausgegeben hatte?
»Könnten Sie die DNA von Leili feststellen lassen?«, fragte Irene.
»Aus welchem Grund?«
»Wir müssen kontrollieren, ob der Tote, der laut Pass Andres Tamm heißt, wirklich ihr Vater war.«
»Verstehe. Kein Problem. Das fällt zwar unter die Schweigepflicht, aber Sie sollten wissen, dass das Mädchen schwanger ist. Ein frühes Stadium, vielleicht dreizehnte oder vierzehnte Woche.«
»Wie wollen
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