Die Tote im Keller - Roman
ein ernstzunehmendes Drogenproblem.
»Informierst du Hannu über das Auto, oder soll ich das tun?«, wollte Irene wissen.
»Das mach ich. Wir wollten sowieso noch den Tippschein für die Pferdewette ausfüllen«, erwiderte Fredrik.
»Viel Glück«, sagte Irene lächelnd.
Tommy, Fredrik, Jonny und Hannu schlossen seit fast zwei Jahren jede Woche gemeinsam Pferdewetten ab. Niemand hatte Birgitta oder Irene gefragt, ob sie sich ebenfalls an den Wetten beteiligen wollten. Deswegen kauften sich die beiden Inspektorinnen ab und zu samstags selbst einige Tippscheine, die bereits
von einem Computer ausgefüllt waren, der sich allemal besser als sie mit Lotto und Fußball auskannte. Im vergangenen Jahr Ende Oktober war ihr Triumph dann total gewesen, als sie beim Toto über viertausend Kronen gewonnen hatten! Sie hatten ihren Erfolg mit einem guten Abendessen im Restaurant Fond am Götaplatsen gefeiert und immer noch Geld übrig gehabt. Die Herren hatten ihnen mit gezwungener Freundlichkeit zu ihrem Gewinn gratuliert. Ihre wohldurchdachten Tipps hatten ihnen bislang nie mehr als 370 Kronen eingebracht, aber das reichte schließlich für eine Pizza und ein alkoholfreies Bier, wie Birgitta aufmunternd gemeint hatte.
Auf Irenes Schreibtisch türmten sich die Akten. Seufzend ließ sie sich auf ihren Schreibtischstuhl sinken. Sie verabscheute Papierarbeit, wusste aber ebenso gut, dass sie unumgänglich war. Es war besser, die Berichte gleich in Angriff zu nehmen. Je länger sie das aufschob, desto mehr musste sie schreiben.
Sie ertappte sich bei dem Wunsch, gestört zu werden. Ausnahmsweise ging er in Erfüllung.
»Hallo!«
Linda Holms blonde Locken tauchten in der Tür auf. Sie trat ein, bevor Irene noch etwas sagen konnte. In der Hand hielt sie eine blaue Plastikmappe, aus der sie ein Papier zog und vor Irene auf den Schreibtisch legte.
»Das ist vor einer Minute gekommen«, meinte sie ohne Umschweife.
Es handelte sich um einen Fahndungsaufruf. Der Text unter dem Foto war auf Spanisch. Der Mann auf dem Foto hatte sehr kurzes Haar, aber Irene konnte erkennen, dass er dunkelhaarig war. In beiden Ohren funkelten mehrere Goldringe. Seine Augen waren hell, und er starrte gerade in die Kamera. Die vollen Lippen wurden von einem ordentlich gestutzten Bart umrahmt. Durch die Nasenscheidewand war ebenfalls ein solider Goldring gezogen. Er trug ein ärmelloses, weit ausgeschnittenes T-Shirt. Seine Halsmuskeln waren wie die Muskulatur des Oberkörpers, die auf dem Foto zu sehen war, zu kräftig. Um
den Hals trug er eine schwere Goldkette, die fast so dick war wie eine wohlgenährte Boa.
»Irgendetwas an ihm kommt mir bekannt vor«, murmelte Irene.
»Stell ihn dir fünf Jahre älter vor, von den Drogen etwas verlebt und ohne Bart und Schmuck. Mit Brille und mit längerem, blondiertem Haar und…«
»Andres Tamm!«
»Yes! Und jetzt schau dir den Namen des Gesuchten an.«
Irene ging den unverständlichen Text durch und entdeckte sofort die größeren, fetten Buchstaben: Sergej Petrov.
»Andres heißt also eigentlich Sergej«, stellte Irene fest.
»Noch einmal Yes! Und mein lieber Kollege El Comandante hat auch ein Foto des Mädchens auftreiben können. Surprise!«
Mit der Miene einer Magierin, die rudelweise Kaninchen aus einem Zylinder hervorzaubert, zog Linda ein neues Blatt Papier aus ihrer Mappe.
Das Mädchen stand halb abgewandt und mit dem Rücken zur Kamera und blickte über die Schulter. Ihr blondes Haar hing ihr in Wellen über ein Auge. Mit der Hand hielt sie ihren Rock etwas hochgezogen, um zu zeigen, dass sie nichts darunter trug. Ihre Pobacken waren klein und fest. Ein Kinderpo. Ihr Oberkörper war nackt. Eine kleine Brust, kaum mehr als eine kleine Erhebung ihres mageren Brustkorbs, war im Halbprofil zu erahnen. Die Wirbel ihres Rückens ließen sich zählen. Ihre dünnen Beine steckten in schwarzen Stiefeln.
Das Bild hätte sexy sein können, wären nicht das offensichtlich geringe Alter und der Blick des Mädchens gewesen. Die Angst stand ihr in das eine sichtbare Auge geschrieben. Wahrscheinlich war das Foto mehrere Monate alt, denn sie wirkte nicht so abgemagert wie auf dem Foto aus der Gerichtsmedizin. Vielleicht hatte aber auch der Seziertisch aus Stahl dazu beigetragen, dass sie nach ihrem Tod noch kleiner aussah.
Der Text war auf Deutsch, aber Irene konnte den Namen Tanja lesen und einige Zahlen, die einen Sinn ergaben: »10 bis 03 Uhr« und » 130 €«. Endlich hatte die kleine Russin einen
Namen,
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