Die Tote im Keller - Roman
sah es so aus. Vielleicht kam ja gar nicht die Policía Nacional dafür auf – langsam kamen ihr Zweifel. Vielleicht war sie ja auf Veranlassung des Gangstersyndikats nach Teneriffa eingeflogen worden. Das waren seltsame Überlegungen, aber ganz von der Hand zu weisen waren sie nicht. Andererseits hatte sich der oberste Chef der Policía Nacional mit der stellvertretenden Provinzpolizeichefin Marianne Wärme ins Benehmen gesetzt. So viel Einfluss konnten die Gangster doch gar nicht haben. Oder doch? Irene wusste einiges über die Mafia in Europa, ihr Einfluss reichte bis in die obersten Etagen der Macht. Sie zog es zunächst jedoch vor, davon auszugehen, dass der höchste Chef nicht direkt in die Sache verwickelt war. Es schien sich um interne Querelen zu handeln. Vielleicht hatte de Viera seinen Vorgesetzten durch einen Vorwand zum Eingreifen bewogen. Wie es sich auch verhielt, an der Tatsache, dass Irene nun gute Miene zu bösem Spiel machen musste, war nicht zu rütteln.
Die Tür wurde geöffnet, und eine junge Frau in blauer Uniform trat mit einem kleinen Tablett mit drei Flaschen und drei Gläsern ein. In der Mitte des Tabletts stand ein Teller mit Melonenschnitzen. De Viera schnappte sich die einzige Flasche Bier und verließ ohne weiteren Kommentar das Zimmer.
Schweigend aßen Irene und die Dolmetscherin die Melone und tranken die verbliebenen kleinen Flaschen Perrier. Resigniert hatten beide eingesehen, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als ihren Verdruss runterzuschlucken und noch einmal von vorne zu beginnen. Energisch wischte sich Irene ihre Finger an einer dünnen Papierserviette ab und hielt dann der Dolmetscherin ihre Hand hin, um sich vorzustellen. Fast zögernd reichte ihr die bleiche Frau ihre eiskalte Hand und sagte:
»Josephine Baxter.«
Irene staunte. Josephine? Die Sepiadame sah mehr aus wie eine Edith oder Vera.
Draußen war es bereits dunkel, als sich fünf Beamte zum zweiten Durchgang einfanden, der kurz nach sieben begann. Alle lächelten Irene an, reichten ihr die Hand und stellten sich vor. Diese Höflichkeit war allerdings vollkommene Zeitverschwendung, da es ihr ohnehin vollkommen unmöglich war, die spanischen Namen im Gedächtnis zu behalten. Dann trat de Viera ein, gefolgt von der jungen Polizistin, die jetzt statt eines Tabletts mit Erfrischungen einen Projektor in der Hand hielt. Wortlos legte de Viera eine Sperrholzplatte auf den glänzenden Konferenztisch, und die Frau platzierte den Projektor darauf. Irene sah, dass einer ihrer Kollegen die Frau wie zufällig am Po berührte, was diese aber nicht weiter zu stören schien. Genauso schnell, wie sie gekommen war, verschwand sie dann auch wieder.
Als sei es das Selbstverständlichste der Welt, klemmte sich de Viera die Ermittlungsakten, die Irene ihm gerade vorgestellt hatte, unter den Arm und warf ihr einen triumphierenden Blick zu. Der schwedische Text würde ihm nicht viel nützen, aber vermutlich ging es ihm um die DNA-Befunde, die bewiesen, dass Sergej Petrov die kleine Russin nicht ermordet hatte. Für die Gomez-Gang und nicht zuletzt für de Viera war es wichtig, beweisen zu können, dass das Geschäft mit den beiden Mädchen allein aufgrund unglücklicher Umstände geplatzt war. Es durfte nicht der geringste Verdacht bestehen, dass die Gomez-Leute versucht haben könnten, die Saar-Bande zu betrügen. Zwar waren damit die finanziellen Unklarheiten nicht beseitigt, aber die ließen sich ausräumen. Oder es ging vor allem um Geld – Saar wollte das Geld für die Mädchen, die er nicht bekommen hatte, und Gomez hatte nicht bezahlen können oder wollen. Irene fragte sich, um was für Summen es sich wohl handelte. Wahrscheinlich ein Vermögen, da bereits vier Männer ihr Leben gelassen hatten.
Irene schloss ihren Laptop an den Projektor an. Währenddessen verschwand de Viera aus dem Zimmer, die Kopien der Ermittlungsakten immer noch unter den Arm geklemmt. Als er einige Minuten später zurückkehrte, hatte er die Kopien nicht
mehr dabei. Wahrscheinlich hatte er sie irgendwo weggeschlossen.
Beim zweiten Mal ging der Vortrag schneller. Das lag daran, dass die Fotos vergrößert an der Wand besser zu sehen waren und dass die Dolmetscherin und Irene jetzt bereits Übung hatten. Alles lief gut. Danach bedankte sich de Viera höflich bei Irene, dass sie die weite Reise von Schweden nach Teneriffa unternommen hätte, um ihren Kollegen bei dieser schwierigen Ermittlung beizustehen. Ihr Beitrag habe ihnen ihre Arbeit
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