Die Tote im Keller - Roman
erheblich erleichtert. Alle Anwesenden nickten zustimmend. Wie auf ein Zeichen erhoben sich alle und verließen das Zimmer. Dann ließ de Viera Irene durch Josephine Baxter fragen, ob sie mit ihm zu Abend essen wolle. Sie lehnte höflich ab. Sie entschuldigte sich mit Kopfschmerzen. Sie wolle direkt ins Hotel gehen und sich hinlegen. De Viera gelang es nicht ganz, seine Erleichterung zu verbergen. Wahrscheinlich hatte er ebenfalls wenig Lust, gestikulierend und in schlechtem Englisch ein ganzes Abendessen lang Konversation zu betreiben.
Josephine Baxter fuhr Irene mit ihrem kleinen Fiat zurück ins Hotel. Als Irene den Rücklichtern des Fiats auf der breiten Avenue hinterherwinkte, merkte sie, wie hungrig und durstig sie war. Ihr Magen knurrte, und ihr Mund fühlte sich wie Sandpapier an. Sie beschloss, rasch aufs Zimmer zu gehen, um sich frisch zu machen, und dann ein vernünftiges Restaurant aufzusuchen.
Sie ging durch die Lobby und nahm den Fahrstuhl zu ihrem Zimmer. Erleichtert sperrte sie die Tür auf und ging direkt ins Badezimmer. Ihre Blase platzte fast. Sie duschte kurz. Mit ein paar Spritzern Parfüm fühlte sie sich einigermaßen wiederhergestellt. Die Poolbar war noch geöffnet, und der Gedanke, dass sie nun bald etwas zu essen bekommen würde, munterte sie sehr auf.
D er Mann hatte die Beine übereinandergeschlagen und wippte mit einem eleganten Schuh in der Luft. Irene fiel auf, dass er bemerkenswert kleine Füße hatte. Sie wunderte sich, dass er sie anlächelte und sich von seinem Sessel erhob, als sie aus dem Fahrstuhl trat. Er kam mit kleinen, trippelnden Schritten über den Marmorfußboden auf sie zu.
»Mein Name ist Günter Schmidt«, sagte er und hielt ihr die Hand hin.
Er hatte einen eiligen und feuchten Händedruck, war ziemlich klein und trug ein weißes Hemd und einen dunklen Maßanzug. Seine Krawatte war aus hellblauer Seide, die Krawattennadel aus Gold. Sein dichtes Haar war schlohweiß, aber sein Gesicht wirkte jugendlich. Vermutlich war er etwas über fünfzig. Sein Englisch war tadellos, er hatte aber einen leichten deutschen Akzent. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte er:
»Ich bin Österreicher, habe aber in den letzten dreißig Jahren in verschiedenen Teilen der Welt gewohnt und bin jetzt Generaldirektor des Casino Royal de Tenerife. Lembit Saar ist mein hochgeschätzter Chef. Alle seine Angestellten hat der Mordversuch an ihm und die Ermordung zweier seiner geschätzten Mitarbeiter sehr beunruhigt.«
Seine Miene drückte die passende Trauer aus.
Der an ihm verübte Mordversuch und die Ermordung zweier seiner geschätzten Mitarbeiter. Für wie naiv hielt er sie eigentlich? Schließlich waren Lembit Saar und seine Leibwächter im
Nachtclub von Jesus Gomez aufgetaucht und hatten diesen erschossen.
Günter Schmidt deutete auf einen mageren Mann in dunkler Uniform, der ein paar Meter entfernt stand.
»Das ist mein Fahrer. Er wird uns zum Kasino fahren. Es wäre mir ein Vergnügen, Sie zum Abendessen einladen zu dürfen. Dann können wir uns auch über unsere gemeinsamen Interessen unterhalten.«
Plötzlich wurde Irene wütend.
»Ich bin Beamtin der schwedischen Polizei und auf Einladung des Chefs der Policía Nacional, Miguel de Viera, hier. Ich habe keinerlei Befugnisse, Außenstehende über eine laufende Ermittlung zu unterrichten«, sagte sie bestimmt.
Um ihre Autorität zu unterstreichen, reckte sie ihr Kinn, so dass ihre 180 cm Körpergröße richtig zur Geltung kamen und schaute auf den Mann vor sich herab.
Als hätte er sie nicht gehört, nahm sie Günter Schmidt am Arm und führte sie in Richtung Ausgang. Auf der anderen Seite wurde sie von dem mageren Chauffeur flankiert.
»Ich ziehe es vor, mich einvernehmlich zu einigen«, meinte Günter Schmidt.
Sein Griff um ihren Oberarm wurde fester, er sprach jedoch in demselben freundlich aufgesetzten Tonfall weiter:
»Es wird uns ein Vergnügen sein, Sie heute Abend als Gast im Casino Royal begrüßen zu dürfen«, sagte er.
Irene dachte fieberhaft nach. Was konnte sie jetzt tun? Ihr war klar, der Grund für den Besuch der beiden Herren war, dass Inspektor Juan Rejón bei ihrem Bericht im Präsidium nicht hatte zugegen sein dürfen. Andernfalls hätte die Saar-Fraktion jetzt nämlich bereits alle wichtigen Informationen von »ihrem Mann im Präsidium« erhalten, und ihr wäre diese »Einladung zum Abendessen« erspart geblieben.
Sie wusste auch, dass es den Gangstern nicht um sie ging. Sie brauchten die
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