Die Tote im Keller - Roman
Informationen nicht nur aus reiner Freundlichkeit überließ. Er wollte damit der Gomezfraktion – und so indirekt auch Polizeichef de Viera – gründlich eins auswischen.
Irene las das Papier mehrmals durch, ehe sie es in der Tasche ihrer Shorts verschwinden ließ. Mit diesem Beweisstück ließ sich nachvollziehen, wie die Menschenschmuggler den Transport der Mädchen durch ganz Europa bewerkstelligten.
Irene befolgte Juan Rejóns Anweisungen strikt. Aber zuvor ging sie erst noch in einen kleinen Lebensmittelladen gegenüber des Hotels und kaufte eine Flasche Rotwein, die vielversprechend aussah, und eine Tüte gemischter, gesalzener Nüsse. Den Rest des Nachmittags verbrachte sie mit ihrem Krimi auf dem Balkon. Obwohl sie riskierte, sich einen Sonnenbrand zuzuziehen, war es das Beste, die Gelegenheit zu nutzen. Es konnte lange dauern, bis sie wieder einmal so viel Sonne genießen konnte.
Mehrmals versuchte sie Krister und die Mädchen anzurufen, aber ohne Erfolg. Sie verfluchte den schlechten Empfang ihres billigen neuen Mobiltelefonanbieters in der schwedischen Provinz.
Im Restaurant des Hotels aß sie zu Abend. Den Rest des Abends verbrachte sie hinter verschlossener Tür auf ihrem Zimmer zusammen mit der Weinflasche und ihren amerikanischen Kollegen vom 87. Revier.
A ls ihre Maschine in Landvetter landen sollte, gab es Probleme. Der Steward teilte über Lautsprecher mit, dass es den ganzen Sonntag in Göteborg heftig geschneit habe. Der Schneefall hatte zwar nachgelassen, aber es windete immer noch sehr stark. Die Passagiere hatten außerdem die letzte Stunde des Fluges wegen Turbulenzen angeschnallt bleiben müssen.
Als sie schließlich gelandet waren, hatte es in Göteborg mehrere Grad unter Null, und die Böen drohten Irene umzureißen. Dennoch war sie heilfroh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Das Eis des plötzlichen Kälteeinbruchs vom vergangenen Freitag lag immer noch tückisch unter dem frischen Schnee.
Irene hatte Glück. Sie bekam sofort ein Taxi. Ihr einziger Wunsch, als sie sich auf die Rückbank fallen ließ, war, endlich nach Hause zu kommen.
Im Reihenhaus brannte kein einziges Licht. Der Rest der Familie würde erst einen Tag später nach Hause kommen. Ihre Schritte hallten unheimlich wider, als sie die Treppe in dem stillen Haus hochging. Rasch packte sie ihr weniges Gepäck aus dem Rucksack aus. Die Kleider, die sie auf der Reise getragen hatte, warf sie in den Wäschekorb. Dann ließ sie Badewasser ein, in das sie eine großzügige Menge nach Rosen duftendes Badesalz gab. Mit einem wohligen Seufzer ließ sie sich in den Schaum gleiten und entspannte sich in dem heißen Wasser. Sie achtete darauf, dass das Pflaster an der linken Schulter nicht
nass wurde. Der Arzt im Hospital del Sur hatte betont, dass es fünf Tage lang draufbleiben müsse.
Offenbar war sie eingeschlafen, denn plötzlich hörte sie ein entferntes Klingeln. Gerade als sie aus der Wanne stürzen wollte, sprang der Anrufbeantworter an. Mit Enttäuschung registrierte sie, dass niemand etwas aufs Band sprach.
Da das Badewasser bereits kalt war, stieg sie aus der Wanne und trocknete sich gründlich ab. Dann cremte sie ihr Gesicht mit einer der teuren Cremes ein, die sie in dem Dutyfree-Shop gekauft hatte. Danach hüllte sie sich in den weichen Morgenmantel, den sie von Krister vor einigen Jahren zu Weihnachten bekommen hatte, und schlüpfte mit ihren nackten Füßen in ihre Fellpantoffeln.
Bedeutend munterer ging sie in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen. Es war fast zehn Uhr, und sie hatte einen wahnsinnigen Hunger. Das Essen im Flugzeug war in einem Schälchen etwa von der Größe einer Streichholzschachtel serviert worden. Auch das Besteck war winzig gewesen.
Der Kühlschrank war deprimierend leer. Nicht einmal Reste, die sie schnell in die Mikrowelle schieben konnte. Sie würde gezwungen sein, selbst etwas zu kochen. Nachdem sie sich die spärlichen Vorräte angesehen hatte, beschloss sie, ein Pilzomelett zu machen. Dazu gab es Knäckebrot mit Kaviarpaste. Ein paar vergessene Mandarinen, die im Gemüsefach lagen, mussten als Nachtisch und Vitaminbeigabe ausreichen.
Irene versuchte erneut, Krister und die Mädchen anzurufen. Die einzige Stelle, an der man in ihrer Hütte Empfang hatte, war im Obergeschoss am östlichen Giebelfenster. Seufzend stellte sie fest, dass sich jetzt offenbar niemand dort aufhielt. Sie konnte nur abwarten, bis jemand versuchte, sie zu erreichen.
Voller
Weitere Kostenlose Bücher