Die Tote im Maar - Eifel Krimi
Pfarrer Wagner war gekommen, was ich für eine mitfühlende Geste halten wollte.
Ich wusste nicht, ob die Musik passte, dazu hatte ich keine Ahnung, wen ich hier der Erde überantwortete. Die vier Sargträger brachten die Tote zu ihrem neuen Bestimmungsort.
Luise winkte mir übers offene Grab hinweg zu. Zumindest dachte ich, es sei ein Winken, aber dann mutierte ihre Gestik zu der eines engagierten Fluglotsen. Was?, formte mein Mund. Hatte sie geglaubt, ich würde alles absagen? Was sollte ich denn mit der Leiche anfangen, wenn nicht sie bestatten. Es war das falsche Grab, aber dagegen war nun nichts mehr zu machen. Ich fühlte mich wie eine Betrügerin, doch wen betrog ich – meinen Vater und mich. Und einer von uns würde ganz sicher schweigen wie ein Grab.
Das Blumenarrangement waren weiße Callas, aus den Lautsprechern tönte »Mama« von Genesis. Luise verzog ungläubig das Gesicht.
Christoffer Lehnert stand ein bisschen abseits, aber er war gekommen, und er machte auf mich nicht länger den Eindruck eines Verlorenen. Als hätte er für sich etwas beschlossen. Dafür bekam er von mir ein Lächeln, das hatte er sich wirklich verdient.
Vincent Klee stand auch abseits. Ein Beobachter. Und wenn ihm etwas nicht entgangen war, dann Luises Gestik. Als Nächstes sah er mich an, aber ich schaute weg. Nicht jetzt.
Galen war an meiner Seite, und das nicht nur im übertragenen Sinn. Ich konnte mich auf ihn verlassen, vielleicht beinahe so, wie mein Vater sich auf ihn verlassen hatte. Galen hielt keine langen Reden, und mit Sicherheit behielt er vieles für sich. Aber ich würde einen Teil seines Ichs schon noch aufdecken. Versuchen wollte ich es zumindest, denn noch länger im Nebel zu stochern würde mich todunglücklich zurücklassen.
Der Himmel hatte sich in Wolken gekleidet, die Stimmung passte. Über meine war ich mir nicht schlüssig.
Ich trug eine dunkle Kombination, Rock und Blazer, Anthrazit, kein Schwarz. Perlenohrringe, dazu eine Brosche. Mein Haar war im Nacken zu einem lockeren französischen Zopf geflochten, auf die Lippen hatte ich ein dezentes rotes Gloss aufgetragen. Ich wollte nicht auffallen, es ging nicht um mich, aber natürlich wurde ich begutachtet.
Als Genesis geendet hatte, sprach ich die einstudierten Worte, zumindest meinen Anfang. Immer wenn ich stockte, mussten die Leute glauben, ich täte es, weil es für mich schwer war, über meine Mutter zu sprechen. Ich erntete anerkennende Blicke und wollte doch nur, dass es vorüberging.
Julia Koch war auch zur Beerdigung gekommen. Die ehemals beste Freundin meiner Mutter. Warum hatte sie nicht erkannt, dass die Frau nicht ihre Freundin war? Julia hatte meinen Vater geliebt. Konnte sie geglaubt haben, er wäre der Mörder von Katharina? So wie auch ich es glaubte?
Ich sah zu Julia hinüber. Sie nickte leicht.
Die Betrachtung des Gesichts der Toten in der Kapelle hatte mir die einzig mögliche Lösung gezeigt. Zwillinge.
Dann konnte ebenso gut Katharina diese andere Frau, ihre Schwester, getötet haben. Und danach … war sie verschwunden.
Es passte nicht. Nicht zu der Mutter, die ich gekannt zu haben glaubte. Aber was wusste ich schon.
Galen stieß mich an. Der nächste Song; ich hatte mich für einen Untergang entschieden – Titanic. »Never an Absolution« von James Horner. Oh ja, schon ein bisschen theatralisch.
Ich schleppte mich weiter durch meine Trauerrede. Den finalen Abschluss bildete musikalisch »Remember when it rained« von Josh Groban. Es passte alles, selbst mein Gesicht, und als der Sarg ins Grab hinabgesenkt wurde, bat ich meinen Vater um Verzeihung für den fürchterlichen Schwindel, der entschieden gegen meine Bestatterehre ging.
Schaufeln voll Erde wurden ins Grab geworfen, viele hatten kleine Blumensträuße mitgebracht oder einzelne Blüten. Anschließend tränkte man alles gebührend mit Weihwasser.
Ich ließ jedem seinen kleinen Abschied. Es schien kein Ende zu nehmen. Die Beileidsbekundungen auch nicht, und jetzt erwartete jeder die nachfolgende Einladung. Irgendwo ein kleiner Imbiss, Unterhaltungen und wenn möglich auch ein paar Antworten. Ich hatte Galen gebeten, für mich in die Bresche zu springen, die einladenden Worte zu sprechen und mich bei den Anwesenden zu entschuldigen.
Nach der Beerdigung trödelten gleich drei Trauergäste herum, um mich abzufangen, mit mir zu reden, mich zu schelten, mich zu befragen.
Christoffer kam als Erster auf mich zu. »Hey«, grüßte er etwas verlegen. »Das war
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