Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
habe. Das Ergebnis ist ebenso frappierend wie eindeutig – das Mittel, das Katharina Wittgen genommen hat, war um ein Vielfaches stärker als das aus der Hütte. Es handelt sich also sehr wahrscheinlich nicht um das gleiche Gift. Oder man hat etwas untergemischt, was in den anderen Tiegeln nicht vorhanden war.«
»Du meinst, jemand hat Katharina Wittgen bewusst vergiftet, als sie versucht hat, die Frucht ihres Fehltritts zu beseitigen?«
Julius nickte ernst. »Ich gehe von Arsenik aus. Ein tückisches Gift, das man sowohl über einen längeren Zeitraum geben kann, als auch einmalig in hoher Dosis. Es ist nicht nachweisbar und daher sehr beliebt bei Erbschleichern und Giftmördern aller Art. Für meinen Vater steht jedoch fest, dass die Hexe die Mörderin sein muss. Das fragliche Tiegelchen stammt aus ihrer Hütte, und niemand kann davon gewusst haben, dass Katharina Wittgen das Zeug genommen hat. Also hat er seine Mörderin, die wahrscheinlich auch Helene und Emilie Breuer umgebracht hat. Jetzt muss nur noch dieser Hund erlegt werden, und Marburg hat sich aller bösartigen Zauberwesen entledigt.«
»Aber das macht keinen Sinn!« Sophie schüttelte den Kopf. »Warum sollte die alte Frau das tun? Sie hätte doch gar keinen Grund, Helene oder Katharina etwas anzutun!«
»Das sehe ich genauso«, pflichtete ihr Julius bei. »Nicht, dass ich Sympathien für eine Kindsmörderin hege, aber die Hexe sollte nur für das zur Rechenschaft gezogen werden, was sie auch getan hat.«
»Also muss jemand das Zeug in Katharinas Hexengift gemischt haben«, schlussfolgerte Lotte nachdenklich. »Das kann nur jemand getan haben, der wusste, dass sie es genommen hat.«
»Der Student. Die Dienstmagd. Oder auch ihr Ehemann. Vielleicht hat er herausgefunden, dass sie Ehebruch begeht.«
»Aber warum sollte Wittgen seine eigene Tochter umbringen?«, fragte Sophie skeptisch. »Helene hat ihren Vater vergöttert.«
»Wir sollten nichts ausschließen. Zunächst müssen wir herausfinden, wer tatsächlich davon wusste. Wie geht es dem Grimm?«
»Wilhelm? Besser.« Sophie blinzelte verwundert. »Warum fragst du?«
»Weil wir vermutlich seine Hilfe brauchen«, antwortete Julius düster. »Uns bleibt nämlich nicht viel Zeit. Im Interesse der öffentlichen Ruhe drängt alles darauf, der Hexe möglichst schnell den Prozess zu machen.«
»Was heißt möglichst schnell?«
»Morgen.«
*
Die Dämmerung senkte sich über die Stadt, und mit ihr kam die Kälte. Sophie schlang den Mantel enger um sich und zog den Kopf zwischen die Schultern. In der Ferne meckerten ein paar Ziegen, die von den Weiden zurück in die Ställe getrieben wurden, und über ihr am Himmel zogen Krähenschwärme von Dach zu Dach und erfüllten die Abendluft mit ihrem rauen Krächzen. Sophie saß auf den Stufen des Brunnen. Julius hatte ihr geraten, hier auf Greta zu warten. Man hatte vom Anatomischen Theater aus Nachricht zum Haus der Wittgens geschickt hatte, dass die Obduktion beendet und der Leichnam zur Bestattung bereit sei. Wenn Doktor Wittgen sich nicht persönlich darum kümmerte, musste Greta sich auf den Weg machen und hier vorbeikommen. In den letzten zwei Stunden hatten sie einige Leute passiert, nur Doktor Wittgen und das Dienstmädchen waren nicht dabei gewesen, sodass sich Sophie allmählich fragte, ob sie sie nicht irgendwie verpasst hatte.
Frustriert starrte sie in die Richtung, aus der Greta kommen musste, aber da waren nur drei Studenten, die sich aufgeregt gestikulierend unterhielten, und zwei Knaben mit einer Ziege und einem Korb voller runzliger Rüben. Misstrauisch äugten sie zu ihr hinüber.
Sophie seufzte. Es war sinnlos. Sie ging besser direkt zum Haus der Wittgens, ehe es vollends dunkel wurde. Was sollte auch geschehen, außer dass Wittgen sie davon jagte?
Entschlossen machte sie sich auf den Weg. Obwohl sie den Kopf gesenkt hielt, spürte sie, wie die Menschen sich nach ihr umsahen. Wahrscheinlich hatte sich herumgesprochen, dass sie es war, die den Wolf gesehen hatte. Marburg war ein Dorf, was Neuigkeiten anging, und wahrscheinlich wusste die halbe Stadt bereits mehr darüber als sie, was gestern Nacht geschehen war.
Das Haus der Wittgens lag dunkel und verschlossen da. Sophie zögerte, doch gerade, als sie die Hand hob, um anzuklopfen, sah sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung.
»Hans!«
Sie wirbelte herum und war mit einem Satz bei dem jungen Wirtssohn. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er sie an, eine Herbstblume mit beiden
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