Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
Mal schickte er sich an, den jungen Mann nicht in der Öffentlichkeit, sondern in dessen eigenen Räumlichkeiten aufzusuchen. Julius hatte daher mit dem Gedanken gespielt, Wilhelm zur Unterstützung mitzunehmen, aber Jakob hatte ihn schnell eines Besseren belehrt. Es gab Menschen, die wurden laut und grell, wenn sie sich aufregten, andere neigten zu donnernden Schimpftiraden oder fuchtelten wie irre in der Luft herum. Jakob tat nichts dergleichen, im Gegenteil: Er sprach ruhig, fast schon gelassen, die Arme verschränkt, aber in seiner Stimme klang ein Unterton mit, den Julius nicht überhören konnte. Eine stumme Drohung, dass die Hölle selbst über ihn hereinbrechen werde, wenn er es auch nur wage, den erschöpften Wilhelm aus dem Bett zu zerren. Julius kannte diese Art Zorn von sich selbst, und er wusste daher, dass solche Drohungen ernster zu nehmen waren als das Gepolter eines Gift und Galle speienden Wüterichs.
So hatte sich Julius alleine auf den Weg zu Friedrichs Unterkunft gemacht. Der Student hatte eine Kammer im Haus eines alten Ehepaares bezogen, die froh waren über die paar Münzen, die ihnen die Miete einbrachte. Die Hausherrin war fast taub, und Julius musste ihr sein Begehren mehrfach ins Ohr brüllen, bis sie verstand, was sie von ihm wollte.
»Der junge Mann ist krank«, teilte sie Julius mit der verzerrten Lautstärke einer Schwerhörigen mit, während sie ihn die steile Holztreppe hinauf führte. Sie dünstete einen säuerlichen Gestank aus, der sich mit dem muffigen Geruch feuchten Fachwerks vermischte. »Er ist sonst nicht oft hier, aber heute haben Sie Glück. Ich habe ihm ja gesagt, dass er nicht rausgehen soll mit seinen Verletzungen. Wer weiß, wo er sich das wieder eingefangen hat! Sind Sie hier, um nach ihm zu sehen, Herr Doktor?«
»So ungefähr, ja«, nickte Julius ausweichend, während er sich beiläufig umsah. Kein Wunder, dass der junge Mann von hier floh, wann immer sich die Gelegenheit bot.
Es dauerte einen Moment, bis sich auf ihr Klopfen hin etwas hinter der Tür regte und sie mit einem müden »Ja?« aufgefordert wurden einzutreten.
Die Kammer war niedrig, sodass Julius den Kopf unter den Balken einziehen musste, aber im Gegensatz zum Treppenhaus war die Luft hier frisch und klar. Friedrich Wagner saß auf dem Bett, die Beine über die Kante geschwungen und nur mit einem Hemd bekleidet. Die schwarzen Locken hingen ihm wirr ins Gesicht und verrieten, dass er wohl geschlafen hatte.
»Herr Wagner? Sie haben Besuch.« Die Zimmerwirtin wies überflüssigerweise auf Julius. »Der Doktor.«
»Ich muss Sie nun bitten, uns allein zu lassen«, wandte sich Julius an die Frau und fasste sie an der Schulter, um sie kurzerhand wieder in Richtung Tür zu drehen. »Ich finde später allein hinaus.«
Es war ihr deutlich anzusehen, dass es ihr gar nicht passte, ihre Neugierde unbefriedigt zu sehen, aber sie grunzte nur ungehalten und verschwand nach draußen. Als die Zimmertür ins Schloss fiel, war sich Julius sicher, dass sie auf der anderen Seite stehen blieb und das Ohr ans Holz drückte. Bei ihrer Schwerhörigkeit dürfte sie zum Glück kaum etwas mitbekommen.
»Hübsch haben Sie es hier«, bemerkte Julius und ging langsam in die Kammer hinein. »Lassen Sie Ihre Wirtin putzen, oder macht das eine Ihrer Geliebten?«
»Was wollen Sie, Doktor?« Friedrich hielt den Kopf gesenkt, sodass Julius das Gesicht hinter den Haaren nicht erkennen konnte, aber seine ganze Haltung verriet Anspannung und Misstrauen. »Ich wüsste nicht, dass ich nach Ihnen gerufen habe.«
»Nein, das haben Sie nicht, aber es war eine geeignete Notlüge.« Julius hielt inne und warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. Die umliegenden Dächer standen dicht an dicht, ideal für Sophie, um hinauszuklettern, ging ihm durch den Kopf, aber er verscheuchte den Gedanken sofort wieder. Er durfte sich nicht ablenken lassen, sonst verlor er dieses Duell heute. »Ich bin kein Freund vieler Worte, deshalb komme ich gleich zur Sache.« Er blieb stehen und drehte sich zu dem Studenten um. »Haben Sie Katharina Wittgen umgebracht?«
Der schwarz gelockte Kopf schnellte hoch, Fassungslosigkeit stand in Friedrichs Augen. »Katharina umgebracht ?«
»Sie ist tot. Vergiftet.«
»Das … « Friedrich zog die Finger durch das Haare, schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein. Sie kann doch nicht tot sein! Sie müssen sich irren, Katharina ist …
»Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Ich habe sie heute obduziert«, sagte Julius
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