Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
Händen an die Brust gedrückt. Doch schon im nächsten Moment verengten sich seine Lider, sein Blick wurde lauernd, während er sich langsam, Schritt für Schritt, in eine abschüssige Gasse zurückzog.
»Hau ab!«
Sophie schüttelte den Kopf. Sie folgte ihm ebenso langsam, am ganzen Körper angespannt. Ihr standen die Bilder vor Augen, wie er Wilhelm zusammengeprügelt hatte, und die Vernunft riet ihr, lieber zu gehen, anstatt ihn weiter in die Enge zu treiben. Auf der anderen Seite kannte sie ihn schon so lange, sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er ihr etwas tat. Sie war immer freundlich zu ihm gewesen, vielleicht hatte er das nicht ganz vergessen.
»Was wolltest du mit der Blume?«, fragte sie bemüht sanft und blieb stehen, als er eine drohende Geste machte. »Katharina Wittgen ist tot.«
»Gut so!«, schnaubte Hans heftig. »Sie ist schuld. Sie ist an allem schuld.«
»Woran?« Sophie runzelte fragend die Stirn.
»An allem! Sie hat doch die Studenten ins Haus geholt!« Hans’ Gesicht verzog sich zu einer schmerzhaften Grimasse. Die Knöchel an seiner Hand traten weiß hervor, als hielte er sich mit aller Kraft an der Blume fest. Sein Adamsapfel zuckte ein paar Mal hoch, während er sichtlich um Fassung rang. »Jetzt sagen alle, die Hexe ist schuld«, stieß er hervor. »Sophie, das stimmt doch nicht!«
Sophie schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein, das stimmt nicht«, sagte sie und versuchte, beruhigend auf ihn einzuwirken. Sie kannte Hans als knurrigen, wortkargen Burschen, der nicht einmal eine Regung zeigte, wenn sein Vater ihm eine Maulschelle verpasste. Wie sehr musste ihn das alles mitnehmen, wenn er so mit sich kämpfte. »Du hast Helene sehr gemocht, nicht wahr?«
Hans schluckte noch einmal, er nickte zögerlich. »Wer immer sie getötet hat, er soll in der Hölle schmoren!«, flüsterte er rau.
»Sie war auch meine Freundin … Vielleicht kannst du mir helfen, ihren Mörder zu finden?«
Hans hob den Kopf, und Sophie meinte kurz etwas in seinen Augen aufleuchten zu sehen. »Du meinst die Hexe?«
»Nein, den Mörder. Das war nicht die Hexe, das hast du doch gerade selber gesagt.« Sophie lächelte schnell, um Hans nicht wieder zu verlieren. Vielleicht vertraute er ihr mehr als Wilhelm, der für ihn einer der bösen Studenten sein musste. »Jemand hat sie vergiftet. Genauso wie Emilie Breuer und Katharina Wittgen. Und ich glaube, dass der Schlüssel zu all dem in diesem Haus dort verborgen ist.«
Hans runzelte die Stirn. Noch immer schien er unschlüssig. Seine Finger drehten die Blume, ließen sie schließlich sinken. »Dann sollten wir hineingehen.«
»Nein, warte!« Sophie hielt ihn zurück, ehe er sich an ihr vorbeischieben konnte. »Helenes Vater wirft uns nur raus. Ich will eigentlich Greta abfangen und ihr ein paar Fragen stellen.«
»Da kannst du lange warten.« Hans warf einen finsteren Blick hinüber zu den Wittgens. »Greta ist vor einer halben Stunde aus dem Haus gestürzt und weggelaufen.«
Sophie blinzelte irritiert. »Wie, ›weggelaufen‹?«
»Weggelaufen halt.« Hans zuckte mit den Schultern. »Sie hatte einen Mantel an und rannte, als sei der Leibhaftige selbst hinter ihr her.«
»Weißt du auch, wohin sie gelaufen ist?«, fragte Sophie aufgeregt. Das klang nicht danach, als sei Greta auf dem Weg zur Anatomie gewesen.
Hans hob erneut die Schultern. Die Blume hielt er immer noch in der Hand, wie ein Kleinod, dessen Verlust er fürchtete. »Zum Barfüßertor, glaube ich.«
»Hilfst du mir, sie zu suchen?«
Jetzt war es Hans, der einen Moment lang verwirrt blinzelte. »Hilft sie, Helenes Mörder zu finden?«
»Ja, deshalb suche ich sie ja.«
Er nickte entschlossen und packte Sophies Handgelenk. »Hier entlang!«
Das Vorhaben war irrsinnig, aber Sophie schob die Gedanken an ihre Mutter beiseite. Sie hatten nur diesen einen Tag, wenn sie verhindern wollten, dass eine Unschuldige für Helenes Tod zur Rechenschaft gezogen wurde. Sie durften keine Zeit verlieren. Vielleicht hatten sie Glück, und jemand hatte gesehen, wohin Greta gelaufen war. Allzu weit weg konnte sie noch nicht sein.
Zumindest hoffte Sophie das.
*
Es war ein leises Unbehagen, das in Julius’ Bauch grummelte bei dem Gedanken daran, dem Studenten den Säbel auf die Brust zu setzen. Er kannte die menschlichen Regungen gut genug, um zu wissen, dass die Geschichte an der Lahn an Friedrich Wagners Stolz nicht nur gekratzt, sondern wahrscheinlich tiefe Wunden hinterlassen hatte. Und dieses
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