Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
hatten und an der Lahn spazieren gegangen waren, wie Papillon schließlich Reißaus nahm und sie versuchten, ihn einzufangen. Lotte zeigte während der ganzen Zeit keine Regung, kerzengerade saß sie in ihrem Sessel, während sich Brentano ein wenig vorgebeugt hatte und scheinbar interessiert lauschte.
Sophies Stimme versagte, als sie von dem Entdeckung der Toten erzählen wollte. Sie war froh, dass Wilhelm kurzerhand das Wort übernahm und knapp berichtete, was sie vorgefunden hatten.
»Der Wachtmeister hat einen Arzt geholt«, schloss Wilhelm. »Man will den Leichnam untersuchen, um festzustellen, ob sie ertrunken ist oder doch vom Wolf angefallen wurde«, fügte er mit einem flüchtigen Blick zu Sophies Großmutter hinzu, die sich wieder ihrer Stickerei widmete, als sei nichts gewesen.
Savigny nickte langsam. »Das wird nicht leicht für Doktor Wittgen. Das Mädchen war sein einziges Kind. Gott möge sie sicher heimgeleiten.«
»Sie ist nicht ertrunken«, murmelte Sophie, den Blick auf die Hände gesenkt. »Niemals.«
»Das wird die Untersuchung zeigen«, schüttelte Jakob Grimm den Kopf. »Was sollte ihr sonst zugestoßen sein?«
»Sie … konnte schwimmen.«
»Aber dann hätte sie jemand hineingeworfen, bewusstlos oder schon tot, und wer sollte …
»Wir sollten uns vor allem nicht wilden Spekulationen hingeben, die haltlos sind, solange wir nichts Genaueres wissen«, unterbrach die Mutter und wandte sich an die Grimmbrüder. Ihr Mundwinkel zuckte, eine sicheres Zeichen für ihren Unmut. »Vielen Dank, dass Sie Sophie heimgebracht haben. Sie ist nun in guter Obhut, sodass sie Ihre Unterstützung nicht länger bedarf.«
Der Blick, den Jakob und Wilhelm wechselten, verriet Sophie, dass sie den Rauswurf hinter der Dankesbezeugung verstanden hatten. Höflich verabschiedeten sie sich und ließen sich von Hugo hinausbegleiten. Sophie sah ihnen etwas verloren hinterher.
»Seit wann geht das schon?«, fragte die Mutter scharf, kaum dass die Haustür ins Schloss gefallen war. Savignys und Brentanos Gegenwart schien sie nicht zu stören.
Sophie hob hilflos die Schultern. Ihr Blick wanderte zu Hugo, der an der Tür lehnte und sie mitleidig betrachtete, aber sie wusste, dass sie von ihrem schwachsinnigen Onkel keine Hilfe gegen ihre Mutter erwarten durfte. Hugo würde seiner Schwester niemals widersprechen. Warum konnte Onkel Laumann nicht genauso unkompliziert und liebenswürdig sein?
»Es tut mir leid«, murmelte sie daher nur. In anderer Stimmung hätte sie sich vielleicht versucht zu rechtfertigen, aber sie war noch immer viel zu verwirrt und aufgewühlt, um Lottes Tribunal standzuhalten. »Wir waren … spazieren und haben geredet.«
»Die Grimms sind aufrichtige, ehrenwerte junge Männer, für die ich die Hand ins Feuer lege«, schaltete sich Savigny ein. Er lächelte beschwichtigend. »Ich sehe in dem Umgang keine Gefahr für Ihre Tochter.«
»Ich wünschte, ich könnte das Gleiche sagen«, schüttelte Lotte den Kopf. »Dass Sie für Ihre Studenten sprechen, ehrt Sie. Lassen wir das nun«, winkte sie ab. »Sophie und ich werden später noch einmal darüber reden. Die armen Wittgens. Das muss schrecklich für sie sein.«
»Doktor Wittgen ist noch nicht lange in Marburg, nicht wahr?«, meldete sich nun auch Brentano zu Wort, der entgegen seiner sonstigen Gewohnheit ungewohnt schweigsam war. »Ich hatte kürzlich mit ihm zu tun. Ein angenehmer Mensch, gebildet und von feinem Geist. Ist er nicht mehrfacher Witwer?«
»Soweit ich weiß, ja. Er musste schon einige Schicksalsschläge hinnehmen. Und nun das.«
»Verzeih, Mutter, ich würde mich gerne zurückziehen.« Sophie hatte mit gesenktem Kopf gelauscht, aber es fiel ihr schwer, still sitzen zu bleiben. Sie hatte gehofft, zur Ruhe zu kommen, wenn sie darüber sprach, doch das Gegenteil war der Fall gewesen. Immer mehr offene Fragen verfingen sich in ihren Gedanken, drohten sie innerlich zu lähmen. Irgendetwas musste Helene zugestoßen sein. Etwas Furchtbares.
»Geh nur«, nickte Lotte. »Und lass dir in der Küche eine warme Milch machen. Wir reden später.«
Artig verabschiedete sich Sophie von Savigny und Brentano und schlüpfte hinaus. Einen Moment lang überlegte sie, tatsächlich in der Küche nachzuschauen und Käthe zu bitten, ob sie eine Milch bekam, erklomm dann aber doch gleich die Stufen hinauf in die oberen Stockwerke. Zu ihrer Erleichterung war Lisbeth nicht da, sodass sich niemand daran störte, dass sie das Fenster aufriss und mit
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