Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
noch Bericht erstatten. So lange kann die Leiche sicher warten. Wenn die Genehmigung erfolgt, machen Sie in Gottes Namen und mit Hilles Segen Ihre Obduktion. Wenn nicht, füllen Sie mir diesen verdammten Totenschein aus und schreiben drauf, dass sie ertrunken ist. Ist das klar?«
Julius wollte widersprechen, dass nichts klar war, dass er niemals einen falschen Totenschein ausfüllen würde, doch er nickte unwillig. Es war Zeit zu lernen, dass die Welt in Marburg anders tickte als in Paris.
»Einverstanden«, knurrte er und drehte Schmitt den Rücken zu, um seine Instrumente einzusammeln. »Ich hoffe, ich kann mir …
Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment wurde die Tür zum Theater schwungvoll aufgerissen.
»Wachtmeister, was geht hier vor?«, donnerte eine Stimme die Ränge empor. »Wo ist Herr Decker?«
»Doktor Fichtner«, wandte sich Schmitt mit einem überraschten Grunzen an den Störer, der mit hochrotem Kopf auf sie zukam. »Na, wenn das einmal keine Überraschung ist. Doktor Fichtner, das ist übrigens …
»Ich kennen den Mann«, fuhr ihm Fichtner über den Mund und baute sich zu kugeliger Größe auf. Der Doktor war eher kurz geraten, mit stämmigen Beinen und einem untersetzten Leib, der bereits jetzt zur Fülle neigte. Sein dürrer Haarkranz stand in wirren Strähnen ab, als sei er in aller Eile hierher aufgebrochen, ohne sich die Zeit zum Herrichten zu nehmen. »Ich frage mich, was er hier zu suchen hat!«
»Die gleiche Frage dürfte ich wohl Ihnen stellen«, konterte Julius eisig, während er ungerührt damit fortfuhr, sein Skalpell zu reinigen. »Im Gegensatz zu Ihnen weiß ich nämlich nicht, mit wem ich es zu tun habe.« Aus den Augenwinkeln registrierte er den Burschen, der vorhin noch die Böden geschrubbt hatte und nun an der Tür herumdruckste und neugierig den Kopf reckte. Offensichtlich nutzte er die Gelegenheit, einen Blick auf die geheimnisvolle Leiche zu erhaschen.
Fichtners Nasenflügel hoben sich, er stieß ein ärgerliches Zischen aus. »Ich denke mir, dass Sie mich nicht kennen, wenn Sie hierher kommen, um sich ins gemachte Nest zu setzen! Aber Sie sollen es ruhig wissen – mein Name ist Ferdinand Bertram Fichtner, Doktor Ferdinand Bertram Fichtner. Ich bin Arzt und die rechte Hand von Professor Michaelis.« Er schob die Unterlippe vor und funkelte Julius an, offenbar eine Antwort erwartend.
Julius nickte kurz, um der Höflichkeit Genüge zu tun, und breitete das Tuch aus, in das er seine Instrumente einschlug. »Angenehm. Richten Sie dem Professor meinen Gruß und meinen Glückwunsch zu diesem Theater aus.«
»Nichts werde ich ihm ausrichten!« Fichtners Wangen schwollen rot an. »Wer glauben Sie eigentlich, dass Sie sind? Sie dürfen hier gar nicht praktizieren! Packen Sie Ihre Sachen und gehen Sie!«
Mit einem leisen Seufzer drehte sich Julius zu ihm um und verschränkte die Arme. »Zeigen Sie mich an, wenn es Ihnen beliebt«, sagte er, ohne sich wenigstens den Anschein von Höflichkeit zu geben. »Aber hören Sie auf, mich anzuschreien.«
»Oh ja, anzeigen werde ich Sie! Und noch viel mehr!« Fichtner fuchtelte mit dem Finger durch die Luft. »Darauf können Sie sich verlassen.« Schnaubend fuhr er herum und verließ das Theater, nicht, ohne die Tür krachend ins Schloss zu werfen.
Schmitt pfiff leise aus. »Da haben Sie sich einen Feind gemacht.«
»Hunde, die bellen, beißen nicht«, winkte Julius ab und zog die Knoten um sein Instrumentenbündel fest. »Warum war er so aufgebracht?«
»Nun ja, er ist Michaelis’ rechte Hand. Er hat sich wohl Hoffnungen auf Ihre Stelle gemacht.«
»Das Leben ist nie gerecht. Ich habe den Posten, den er will, und ihm wäre er vermutlich viel mehr wert. Erzählen Sie mir noch von diesem Untier. Gibt es das eigentlich wirklich?«
»Den Wolf?« Schmitt hob und senkte die Schultern. »Da fragen Sie mich besser etwas Leichteres. Vielleicht. In jedem Fall treibt sich dort draußen ein wildes Tier herum, das die Leute in Angst und Schrecken versetzt. Zunächst hat es nur ein paar Ziegen und Hühner erwischt, aber inzwischen fällt es auch Menschen an. An Ihrer Stelle würde ich zurzeit lieber in der Nähe bleiben und nicht in den Wald hinausgehen.«
»Verstehe.« Julius zog die Schnallen seiner Tasche zu. »Nun, ich werde erst einmal in die Stadt zurückkehren und einige Dinge erledigen. Und morgen statte ich der Familie Wittgen einen Besuch ab.«
»Die Wittgens?« Schmitt runzelte die Stirn. »Warum das?«
»Weil ich hoffe, dort
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