Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
sich in Laumanns Nase, dass er sich zu gleichmäßigen Atemzügen zwingen musste. Er hasste diesen Geruch, der ihm Magengrimmen verursachte, die süßliche Schwere, die noch am nächsten Tag auf der Zunge hing und einen unangenehmen Geschmack hinterließ.
Laumann übergab Hut und Mantel einem Diener und wurde von ihm zu einem Raum geleitet. Einer Reihe von Lampen sorgte für ausreichend Helligkeit, die die Gesichter der Anwesenden in ein diffuses Spiel aus Licht und Schatten tauchte. Professor Michaelis, der Leiter des Anatomischen Instituts, war da, der Stadtchirurg Johannes Decker und weitere Ärzte, die Laumann nur flüchtig kannte. Zu seiner Überraschung entdeckte er auch Professor Baldinger unter den Anwesenden, der aufmerkte, als er hineinkam.
»Da bist du ja endlich«, begrüßte ihn Baldinger und reichte ihm die Hand. Braunfleckige Haut spannte sich über die immer noch kraftvollen Finger, die trotz Baldingers Alter ebenso lebendig waren wie sein Geist. Der Professor genoss einen hervorragenden Ruf weit über Marburgs Grenzen hinaus, nicht nur als Arzt, sondern auch als akademischer Lehrer. Laumann war seit vielen Jahren mit Baldinger eng befreundet, und letztendlich war es vor allem seine Unterstützung gewesen, die es ermöglicht hatte, Julius als Adjunkt des Stadtphysikus durchzusetzen.
»Ich konnte nicht eher kommen«, entschuldigte Laumann sich und nickte Michaelis grüßend zu, was dieser mit einer knappen Kopfbewegung quittierte.
»Wir haben auf Sie gewartet, Stadtrat Laumann«, bemerkte Michaelis. Er deutete auf einen freien Platz. »Setzen Sie sich. Den Herrn Doktor Fichtner kennen Sie, nicht wahr?«
»Flüchtig.« Laumann nickte auch Fichtner zu und setzte bereits zu einer Frage an, als sich die Tür erneut öffnete und Oberschultheiß Hille eintrat, dessen Begrüßung ungewohnt sparsam ausfiel.
»Damit sind wir vollzählig«, teilte Michaelis mit und wartete, bis sich Hille gesetzt hatte. Die Hände vor sich auf dem Tisch verschränkt, blickte er in die kleine Runde. »Der Anlass unseres Treffens ist eine Anfrage des Herren Schultheiß, die keinen Aufschub duldet. Ein unschöner Anlass, aber das kann der Herr Schultheiß besser erklären, schließlich war er vor Ort.«
Er bedeutete Hille zu sprechen, eine Aufforderung, auf die der Schultheiß gewartet zu haben schien.
»Ich danke Ihnen, Professor Michaelis«, nickte er knapp. Sein Blick glitt flüchtig über die Anwesenden, blieb schließlich bei Laumann hängen, der bereits ahnte, was jetzt kam. »Um es kurz zu machen, ich habe eine Leiche, und ich brauche fachkundigen Rat bezüglich einer gerichtsmedizinischen Obduktion«, begann er ohne Umschweife. »Zunächst zu der Toten – sie wurde in den frühen Nachmittagsstunden am Lahnufer unweit der Afföllerwiesen gefunden. Es handelt sich um die Tochter des Regierungsadvokaten Karl Friedrich Wittgen. Der Name wird Ihnen vertraut sein, er kam erst kürzlich nach Marburg und steht in enger Verbindung zum kurfürstlichen Hof.«
»Was ist mit dieser Leiche?« Baldinger saß zurückgelehnt auf seinen Stuhl, die Fingerkuppen auf der Lehne aufgestellt. Sein Blick wanderte zu Decker, dem Stadtchirurgen. »Gab es keine gerichtsmedizinische Untersuchung?«
»Schon, aber nicht von einem der dafür bestellten Ärzte.« Der Chirurg wechselte einen kurzen Blick mit Fichtner, der mit verschränkten Armen dasaß. »Doktor Hirschner hätte in seiner Funktion als Stadtphysikus die Untersuchung mit meiner Unterstützung durchführen sollen.«
» Hätte ? Demnach hat er nicht?«
Hille schüttelte den Kopf. »Er hat seinen Adjunkt geschickt.«
»Der junge Laumann ist mitnichten Adjunkt von Doktor Hirschner«, mischte sich Fichtner ein. »Nach meinem Kenntnisstand hat er keine Erlaubnis der Deputation, in Marburg zu praktizieren, geschweige denn, die Aufgaben eines Stadtphysikus zu übernehmen!«
»Also bitte«, Baldinger schnalzte mit der Zunge. »Etwas Contenance, Herr Fichtner. Doktor Laumann wurde schließlich von dieser Runde hier berufen, die Stelle des Adjunkt zu bekleiden. Ich wusste noch gar nicht, dass er bereits in Marburg weilt.«
»Seit heute Vormittag, wenn ich richtig unterrichtet bin«, sagte Hille. »Heute Nachmittag erschien er anstelle Doktor Hirschners am Fundort der Leiche. Da kein anderer Arzt auf die Schnelle zu finden war, habe ich ihn gewähren lassen. Hätte ich gewusst, welche Schwierigkeiten sich daraus ergäben, hätte ich nicht zugestimmt.«
Laumann hatte die ganze Zeit über
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