Die Tote im Ritz - Ein Fall fuer Detective Joe Sandilands
immer auf das Erbe hinaus, findest du nicht auch? ›Wer profitiert davon?‹, ist immer die wichtigste Frage in einem Mordfall, wie du selbst sagst. Tja, mir scheint, in diesem Fall profitiert Orlando. Das alte Mädchen wollte die Regeln beugen, um alles Beatrice zu hinterlassen, die in ihren Augen die rechtmäßige Erbin war. Aus zwei Gründen: Sie war die Älteste und sie war ehelich. Einer Feministin - und soweit ich weiß, ist sie eine - ist es vollkommen egal, dass Beatrice eine Frau war. Viele von uns können das Gesetz nicht akzeptieren, das männliche Erben den weiblichen vorzieht.«
»Vielleicht hat sie es Orlando erzählt. Vielleicht drohte sie, seine zweifelhafte Herkunft offenzulegen, wenn er sich nicht damit einverstanden erklärte, das Haus Beatrice zu überschreiben? Wie sollte man das je herausfinden? Niemand wird es mir erzählen, selbst wenn ich die Erlaubnis hätte, danach zu fragen.«
»Tja, ich hätte mir nie träumen lassen, dass wir derart prickelnde Nachbarn haben! Ich werde sie auf jeden Fall besuchen. Es klingt, als ob die arme Mel ein wenig Unterstützung gebrauchen könnte … Ich werde dich wissen lassen, wie ich vorankomme, in Ordnung?«
»Ich kann es kaum erwarten. Aber hör zu, Lyd, altes Haus - steck deine Nase nicht in etwas, das dich in Schwierigkeiten mit Leuten wie mir bringen könnte … nein - mit Leuten, die ein Gutteil zwielichtiger sind als ich. Namenlose Männer aus namenlosen Abteilungen. Es wurde befunden, dass Dame Beatrice von ihrer Angestellten ermordet wurde, und wir haben keine andere Wahl, als das zu akzeptieren.«
»Ja, Joe«, erwiderte Lydia lammfromm.
Als Lydia um ein Uhr morgens auf dem Weg zum Bad an Joes Zimmer vorbeikam und sah, dass noch Licht bei ihm brannte, klopfte sie leise an und, als sie keine Antwort bekam, drückte sie die Tür auf und trat ein. Sie wollte ihm eine heiße Schokolade anbieten, aber dann sah sie lächelnd, dass er tief und fest schlief, sein Bett übersät mit Notizen und Fotos, der offene Aktenkoffer neben dem Bett.
Leise sammelte sie alles ein, dann schlich sie, ihr Gesicht schelmisch funkelnd, aus dem Raum, den Aktenkoffer in der Hand. In der verlassenen Küche setzte sie Milch auf den Herd, warf sich ihren alten Gartenmantel um die Schultern und setzte sich an den Tisch, um wieder alles in eine Ordnung zu bringen. Joe würde es ihr am Morgen danken.
Um zwei Uhr saß Lydia immer noch neben dem Herd, hielt vier Blatt Papier in der Hand und wunderte sich. Sie las die Beweise zum dritten Mal durch, fand aber nicht, wonach sie suchte. Außerdem war es nur ein winziges Detail. Sie war lächerlich und kleinlich. Schließlich war ihr luchsäugiger Bruder direkt vor Ort gewesen. Wahrscheinlich stand es irgendwo in den Notizen. Er hätte das nicht übersehen.
Lydia gähnte, trank ihre heiße Schokolade aus und schloss Joes Aktenkoffer.
Als Joe am Freitagmorgen in seine Wohnung an der Lot’s Road zurückkehrte, ging er seine Post durch und zog den braunen Umschlag heraus, der im Innenministerium abgestempelt worden war. Larry hatte Wort gehalten und ihm die komplette Fingerabdruck-Testreihe geschickt, um die er gebeten hatte. Es lag ein handschriftlicher Zettel von seinem Kollegen bei, dazu mehrere getippte Berichte. Der Begleitbrief war nicht unterschrieben, auf Papier ohne Briefkopf, und sollte zweifellos sofort zerstört werden:
»Tut mir leid, alter Junge - mitten in deinem Auftrag sauste die Axt herunter. Konnte die Sache noch zu Ende bringen, aber ich glaube, du solltest das gar nicht bekommen. Wenn jemand fragt, sage ich, es sei ein fait accompli , schon unwiederbringlich zugestellt! In Ordnung?«
Joe ging eifrig die Ergebnisse der Tests und Analysen durch, um die er gebeten hatte. Verärgert über das, was er sah, fing er noch einmal von vorn an und las gewissenhaft.
»Mit Hilfe des erweiterten Henry-Systems, das von Chefinspektor Battley zur Klassifikation von einzelnen Abdrücken …«, begann das Vorwort. »… alle eingereichten Abdrücke wurden fotografiert und vergrößert und stehen zur Vorlage vor Gericht zur Verfügung …«
Das würde überhaupt nichts bringen! Joe blätterte zu den Schlussfolgerungen vor, arbeitete sich durch Aufzählungen von Schleifen, Spiralen, Verästelungen und Inseln. »Wenn die Abdrücke zweier Finger oder - wie in diesem Fall - Daumen miteinander verglichen werden und man zwölf wesentliche Übereinstimmungen zwischen den beiden findet, ist der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass
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